Das Wohlbefinden fördern – ohne Medikamente Magazin ARTISET

ARTISET Das Magazin der Dienstleister für Menschen mit Unterstützungsbedarf Im Fokus Das Wohlbefinden fördern – ohne Medikamente Ausgabe 04/05 I 2024 Was Arbeitgebende tun können, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Seit 15 Jahren gibt es die Praktische Ausbildung Schweiz. Wir ziehen Bilanz. Alterspolitik in den Kantonen: Eine Plattform fördert den Austausch und die Vernetzung

Stiftung Contenti Arbeiten und Wohnen für Menschen mit einer Behinderung Der Quereinstieg ins Soziale war wie ein Sechser im Lotto! Bei der Stiftung Contenti nutze ich mein kaufmännisches Knowhow, um Mitarbeitende mit Beeinträchtigung zu befähigen. Während meiner Ausbildung zur Arbeitsagogin erhalte ich grossen Support vom Team. Arbeitsagogin, Bereich Arbeit Bei Contenti begegnen sich die Menschen auf Augenhöhe. Durch die abwechslungsreiche und moderne Gestaltung des Praktikums konnte ich wertvolle Erfahrungen sammeln. Ehemalige Praktikantin, Bereich Wohnen Meine Arbeit gibt mir Sinn im Alltag. Mitarbeiter mit Beeinträchtigung, Bereich Arbeit Wir sind contenti. Sie auch? Auf Ihre Bewerbung freuen wir uns! www.contenti.ch Zentraler Arbeitsort in der Stadt Luzern MEHR ZEIT FÜR DIE PFLEGE DANK DER SMARTLIBERTY-LÖSUNG SmartLiberty vereint in einem einfachen und modularen System Funktionen wie den mobilen Bewohnerruf, Weglaufschutz, Assistenzruf und vieles mehr. Besuchen Sie uns

ARTISET 04/05 I 2024 3 Editorial «Die Vielfalt nicht-medikamentöser Ansätze ermöglicht es, die individuellen Vorlieben der Menschen zu berücksichtigen.» Elisabeth Seifert, Chefredaktorin Liebe Leserin, lieber Leser Innere Unruhe, Ängste, Aggressionen, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen. Diese oder ähnliche Probleme machen einigen von uns zu schaffen, besonders aber auch Menschen im hohen Alter oder mit Beeinträchtigungen unterschiedlicher Art. Um solchen gesundheitlichen Problemen zu begegnen, braucht es längst nicht immer – und vor allem nicht als alleiniges Mittel – eine Behandlung mit Medikamenten. Wir alle wissen und spüren, wie heilsam es für Körper und Geist sein kann, sich ein wohltuendes Ambiente zu schaffen, etwas zu tun, das uns bereichert, Freude macht oder Entspannung bringt. Bei stationären und auch ambulanten Leistungserbringern haben neben Pflege und Betreuung denn auch diverse Aktivierungen oder Freizeitangebote einen wichtigen Stellenwert. Hinzu kommen vermehrt spezifische nicht-­ medikamentöse Angebote, eigentliche Therapien oder auch Interventionen und Konzepte, die sich besonders gut für bestimmte Problemlagen oder Personengruppen eignen. Pflegewissenschaftlerin Eliane Baumberger stellt im Interview mit dem Magazin (Seite 9) etwa fest, dass in der Alterspflege die Wirksamkeit von Musik und Bewegung gut belegt ist. Den Wert nicht-medikamentöser Therapien sieht die Wissenschaftlerin indes besonders darin, die Bedürfnisse jedes einzelnen Menschen zu berücksichtigen. Nicht-medikamentöse Therapien haben damit, wie Baumberger betont, eine wichtige Bedeutung innerhalb einer personenzentrierten und ganzheitlichen Pflege und Betreuung. Mittlerweile gibt es eine Vielfalt solcher Ansätze, die es möglich machen, den individuellen Vorlieben der begleiteten Menschen zu entsprechen. Die Stiftung MitMänsch Oberwallis zum Beispiel setzt gerade auf den Wert dieser Vielfalt, indem sie ihre ohnedies schon breite Angebotspalette laufend weiterentwickelt (Seite 12). «Die Menschen vom Kleinkindalter bis ins hohe Seniorenalter sollen sich vielfältig ausprobieren können und entdecken, was ihnen guttut», sagt Stiftungsratspräsidentin Nicole Ruppen. Lassen Sie sich von unseren Reportagen dazu inspirieren, das eine oder andere Angebot in Ihre Institution aufzunehmen. Auffallend in unseren Berichten ist, wie die Fachpersonen das Gespräch betonen, die persönliche Zuwendung, die Beziehung zu den begleiteten Menschen – wahrscheinlich die wichtigste Therapie überhaupt. Über den Fokus hinaus empfehle ich Ihnen besonders unseren Bericht zur Praktischen Ausbildung (PrA), die sich im Verlauf der letzten 15 Jahre einen festen Platz in der Berufsbildung Jugendlicher mit Behinderungen erobert hat. Der Branchenverband Insos koordiniert mittlerweile über 100 Berufe, verwaltet die Lehrverträge und überprüft die rund 400 PrA-Betriebe. Aufmerksam machen möchte ich Sie zudem auf die Plattform forum-alterspolitik.ch, die zu einem Austausch der Kantone und interessierter Akteure in einem äusserst zentralen gesellschaftspolitischen Themenfeld beitragen will (Seite 36). Titelbild: Im Bällchenbad der Heilpädagogischen Schule von MitMänsch Oberwallis kommt Enea zur Ruhe und kann sich entspannen. Foto: Marco Zanoni

Mehr erfahren Die Branchenlösung für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz ARTISET Securit ist die Lösung für die Mitglieder von CURAVIVA, INSOS und YOUVITA mit: Beratung, Informationen und Schulungen. ARTISET Securit ist: • einfach – dank der Online-Plattform asa-control leicht umzusetzen. • günstig – minimiert Ihren Arbeitsaufwand für die Umsetzung der EKAS-Richtlinie 6508. • integrierbar – als eigenständige Arbeitssicherheits- lösung einzusetzen oder in ein bestehendes QMS zu integrieren. • umfassend – ein Gesamtpaket mit Plattform, Aus- und Weiterbildungen, Audits, Updates, Beratung. • professionell – Fachspezialist:innen für Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz sind für Sie da. • national – alle Schulungen und Dokumente sind auf Deutsch und Französisch verfügbar.

Inhalt ARTISET 04/05 I 2024 5 Impressum: Redaktion: Elisabeth Seifert (esf), Chefredaktorin; Salomé Zimmermann (sz); Anne-Marie Nicole (amn); France Santi (fsa); Jenny Nerlich (jne) • Korrektorat: Beat Zaugg • Herausgeber: ARTISET • 3. Jahrgang • Adresse: ARTISET, Zieglerstrasse 53, 3007 Bern • Telefon: 031 385 33 33, E-Mail: info@artiset.ch, artiset.ch/ Magazin • Geschäfts-/Stelleninserate: Zürichsee Werbe AG, Fachmedien, Tiefenaustrasse 2, 8640 Rapperswil, Telefon: 044 928 56 53, E-Mail: markus.haas@ fachmedien.ch • Vorstufe und Druck: AST&FISCHER AG, Seftigenstrasse 310, 3084 Wabern, Telefon: 0319631111 • Abonnemente: ARTISET, Telefon: 03138533 33, E-Mail: info@artiset.ch • Jahresabonnement Fr. 125.– • Erscheinungsweise: 8 × deutsch (je 4600 Ex.), 4 × französisch (je 1400 Ex.) pro Jahr • WEMF/KS-Beglaubigung 2023 (nur deutsch): 3167 Ex. (davon verkauft 2951 Ex.) • ISSN: 2813-1355 • Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach Absprache mit der Redaktion und mit vollständiger Quellenangabe. Im Fokus 06 Von der Aromatherapie bis zur tiergestützten Intervention 09 Nicht-medikamentöse Therapien: Ansätze in der Alterspflege und ihre Bedeutung 12 Die Stiftung MitMänsch setzt auf eine breite Palette an Angeboten 15 Hypnotische Kommunikation: Menschen zu positiven Lebens-Momenten hinführen 20 Pflegezentrum Reusspark: Begegnung mit Meerschweinchen und Hühnern 24 Ätherische Öle helfen bei der Hautpflege und bei Stimmungsstörungen kurz & knapp 28 Ein junger Niederländer wohnt nicht im Studenten-, sondern im Pflegeheim Aktuell 30 Die Praktische Ausbildung Schweiz bewährt sich seit 15 Jahren 34 Mit der Digitalisierung betrieblicher Prozesse werden Ressourcen frei 36 Kantonale Alterspolitik: Eine Plattform trägt zum Austausch bei 40 Bern fördert Quereinstieg in die Pflege 42 Ein Experte erklärt, wie es gelingt, attraktive Jobs zu schaffen Politische Feder 46 Marianne Pfister, Co-Geschäftsführerin Spitex Schweiz 20 30 46 Einblick in die Arbeit mit Hühnern Ein Film des Pflegezentrums Reusspark zur tiergestützen Therapie.

6 ARTISET 04/05 I 2024 Vielfältig und wirkungsvoll Die Sinneswahrnehmung fördern, Selbstheilungskräfte aktivieren, das psychische und physische Wohlbefinden stärken: Das sind allesamt wichtige Ziele in der Begleitung von Menschen mit Unterstützungsbedarf. Nicht-medikamentöse Interventionen können hierzu einen wichtigen Beitrag leisten, der zugeschnitten ist auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen. Von Elisabeth Seifert

ARTISET 04/05 I 2024 7 Im Fokus Es ist ein breiter Mix an Pflege- und Betreuungsleistungen, die stationäre und ambulante Dienstleister in der Begleitung von Menschen mit Unterstützungsbedarf erbringen: die tägliche Körperpflege, medizinische Pflegeleistungen wie die Verabreichung von Medikamenten oder Aktivierungs- und Freizeitangebote. Von Bedeutung sind zudem gängige nicht-medikamentöse Therapien, wozu Bewegungstherapien wie die Physio- oder die Ergotherapie zählen, aber auch die Logopädie und die Psychotherapie. Ergänzend kommen in Institutionen für Menschen im Alter, für Menschen mit Behinderung und für Kinder und Jugendliche vermehrt weitere nicht-medikamentöse Therapien respektive Angebote zum Einsatz, die bei unterschiedlichsten körperlichen oder psychischen Problemlagen Erleichterung bringen können. Um einen Eindruck der Vielfalt solch spezieller Angebote zu vermitteln, fassen wir hier einige dieser Therapien oder Interventionen zusammen, die gerade auch innerhalb von Institutionen zur Förderung des Wohlbefindens und der Lebensqualität eingesetzt werden: Kunsttherapie Der Begriff «Kunsttherapie» gilt in der Schweiz für alle künstlerischen Therapieformen. Es handelt sich hierbei um eine junge Therapieform, welche sich für jeden Menschen in fast allen Lebenssituationen eignet. Über künstlerische Medien wie Musik, Bewegung oder Malen (siehe auch Seite 12) finden Klientinnen und Klienten einen Weg, sich auszudrücken. Kunsttherapie fördert und sensibilisiert die Sinneswahrnehmung. Sie stärkt die Autonomie, aktiviert Selbstheilungskräfte und unterstützt persönliche Entwicklungsprozesse. Kunsttherapeutinnen und Kunsttherapeuten sind in Privatpraxen, in Einrichtungen des Gesundheitswesens sowie in sozialen, pädagogischen und kulturellen Institutionen tätig. Musiktherapie Musiktherapie, ein Teilbereich der Kunsttherapie, wird zur Förderung, Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von seelischer, körperlicher und geistiger Gesundheit eingesetzt. Zur Anwendung kommt sie bei Menschen aller Altersgruppen in verschiedenen Bereichen Quelle: Fachverband für Kunsttherapie. Nicht-medikamentöse Interventionen zaubern ein Lächeln ins Gesicht und tragen zum Wohlbefinden bei: Tiergestützte Interventionen im aargauischen Niederwil, Basale Stimulation in der Stiftung Mitmänsch Oberwallis und die Aromapflege in der Pflege Reute im Appenzellerland. Fotos: Marco Zanoni, Pflege Reute

8 ARTISET 04/05 I 2024 der Psychiatrie, Medizin, Heilpädagogik und Rehabilitation. Musiktherapie kann auch völlig nonverbal unterstützen. So kommt sie unter anderem zum Einsatz in der Begleitung von Frühgeborenen, bei Menschen mit Behinderung oder auch bei Demenzerkrankten, die ihre Gefühle nicht mehr in Worte fassen können (siehe auch Seite 12). Tiergestützte Intervention Für die positive Wirkungen von Tieren auf Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen gibt es wissenschaftliche, medizinische und pädagogische Belege. Diese positiven Wirkungen betreffen unter anderem die Kommunikation bei Menschen mit psychischen Problemen oder bei Menschen mit Demenz. Ein wichtiger Faktor bei der tiergestützten Intervention ist die spezielle Vorbereitung der Tiere, die stets unter Aufsicht und Anleitung von ausgebildeten Fachkräften stattfindet. Tiergestützte Intervention ist nach internationaler Übereinkunft der Oberbegriff für verschiedene Teilgebiete der tiergestützten Arbeit (tiergestützte Therapie, tiergestützte Pädagogik, tiergestütztes Coaching, tiergestützte Aktivitäten; siehe auch Seite 20). Hippotherapie Die Hippotherapie umfasst vielfältige pferdegestützte Interventionen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit psychischen und physischen Beeinträchtigungen und in schwierigen Lebenssituationen und Krisen. Die pferdegestützte Therapie ist eine psychologisch und therapeutisch ausgerichtete Behandlungsform, die bei einem breiten Spektrum von Erkrankungen eingesetzt werden kann. Bei der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd wird der Klient oder die Klientin auf körperlicher, emotionaler, geistiger und sozialer Ebene angesprochen (siehe auch Seite 12). Die Hippotherapie-K (HTK) ist eine physiotherapeutische Massnahme mit Hilfe des Pferdes, bei der die Bewegungsübertragung vom Pferdeschritt auf den Beckengürtel des Klienten genutzt wird. Snoezelen Es handelt sich um ein multifunktionales Konzept aus den Niederlanden. Der Begriff «Snoezelen», ausgesprochen als «Snuselen», ist eine Verbindung aus den beiden holländischen Wörtern «snuffelen» (schnüffeln) Quellen: Fachverband für Musiktherapie, Alzheimer Schweiz. Quelle: Gesellschaft für tiergestützte Therapie und Aktivitäten. Quelle: Stiftung Hippotherapie Zentrum und «doezelen» (dösen, schlummern). Durch das Snoezelen werden Sinnesempfindungen ausgelöst, welche in verschiedensten Wahrnehmungsbereichen wirken. Die Wirkung kann sowohl entspannend als auch aktivierend sein. Im Zentrum steht der Snoezelenraum, der mit unterschiedlichen Materialien ausgestattet werden kann (etwa Wasserblasensäulen, Mobiles, Kissen, Lichtprojektoren, Klangschalen, Musik, Aromazerstäuber). Das Snoezelen wird vor allem in Institutionen für Menschen mit Behinderung oder in Pflegeeinrichtungen angewendet. Inzwischen gibt es zahlreiche Studien, welche die Wirkung des Konzepts bestätigen. Die Bewohnerinnen und Bewohner zeigten etwa eine positivere Grundstimmung, zogen sich weniger zurück und sprachen mehr in ganzen Sätzen (siehe auch Seite 12). Aromatherapie Aromatherapie ist die kontrollierte Anwendung ätherischer Öle, um Selbstheilungskräfte zu aktivieren und Stimmungsstörungen zu harmonisieren. Je nach Schwerpunkt der Inhaltsstoffe und Dosierung wirken die ätherischen Öle entweder stärker auf die körperliche oder auf die seelische Ebene. Einerseits wird über den Duft das Gehirn angesprochen, andererseits gelangen die Wirkstoffe über Organe wie die Haut in den Blutkreislauf. Empfohlen wird vor allem die äussere Anwendung (etwa Massageöle oder Badezusätze). Ätherische Öle werden vermehrt in Institutionen, Kliniken und der Spitex eingesetzt. Der gemeinnützige Verein Arthes Schweiz fördert die wissenschaftlich angewandte Aromatherapie und -pflege und informiert über den sicheren Umgang mit ätherischen Ölen (siehe auch Seite 24). Lichttherapie Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Lichtmangel Depressionen verursachen kann und dass Licht, im umgekehrten Fall, als Therapie dienen kann. Die Lichttherapie erfolgt mit einer halbstündigen morgendlichen Behandlung mit einer speziell dafür entwickelten Lichtlampe. Diese Lampen geben helles Licht ab und simulieren so die Helligkeit an einem klaren Tag draussen. Die Lichttherapie eignet sich unter anderem gegen die Winterdepression, zur Unterstützung der Behandlung von allgemeinen Depressionen, bei Schlafstörungen, insbesondere auch bei Demenz sowie zur Prophylaxe von saisonal abhängigen Stimmungsschwankungen. Die Lichttherapie kann stationär und ambulant eingesetzt werden. Quelle: Pflegeportal.ch Quellen: Florentia.ch, Arthes.ch Quelle: Psychiatrie St. Gallen

ARTISET 04/05 I 2024 9 Im Fokus Die Pflegewissenschaftlerin Eliane Baumberger* beschäftigt sich in ihrer Forschung mit nicht-medikamentösen Therapien in der Alterspflege. Sie erläutert, wie die Ansätze wirken und wie sie erfolgreich eingesetzt werden können. Zudem plädiert sie für eine personenzentrierte Haltung der Organisationen. Interview: Salomé Zimmermann « Nicht-medikamentöse Behandlung hilft allen Beteiligten» Frau Baumberger, worum geht es bei den nicht-medikamentösen Therapien? Nicht-medikamentöse Therapien und nicht-medikamentöse Interventionen der Pflegenden, wie es in der Pflegefachsprache heisst, verfolgen verschiedene Ziele: die Lebensqualität zu verbessern, Fähigkeiten zu erhalten oder wiederherzustellen sowie Symptome zu lindern. Es geht darum, mit Heimbewohnenden und Patientinnen und Patienten in direktem Kontakt zu sein und das Gegenüber als ganzen Menschen in seiner Individualität wahrzunehmen. Dieser personenzentrierte und ganzheitliche Ansatz ist entscheidend bei den nicht-medikamentösen Behandlungsformen. Sie verändern das Befinden und die Art des gegenseitigen Umgangs in einer positiven Weise. Davon profitieren alle Beteiligten. Ein weiteres Ziel von nicht-medikamentösen Ansätzen ist, dass schwierige Situationen ohne oder mit weniger Medikamenten und ohne freiheitsbeschränkende Massnahmen gehandhabt werden. Welche Ansätze gehören zu den nicht-medikamentösen Therapien? Diese umfassen einerseits Therapien wie Ergotherapie, Logopädie, Physio- Musik-, Kunst- und Aktivierungstherapie. Andererseits führen auch Pflegende nicht-medikamentöse Interventionen wie Bewegung, Massagen, Aromatherapie und psychosoziale Interventionen, die Entwicklungen in konstruktive Richtungen unterstützen, durch. Wichtig ist, dass die Behandlungen auf die individuellen Bedürfnisse der Bewohnenden ausgerichtet sind. Zudem braucht es eine regelmässige und frühzeitige Anwendung, dann können nicht-medikamentöse Therapien bereits präventiv und gut wirken. Was braucht es auf Ebene der Institutionen, damit die nicht-­ medikamentöse Behandlung erfolgreich ist? Es ist wichtig, dass die Leitung nicht-­ medikamentöse Ansätze ermöglicht und fördert. Dazu gehört die Bereitstellung zeitlicher und personeller Ressourcen und die Etablierung einer Pflegekultur, in der selbstverständlich mit einem personenzentrierten Ansatz und mit psychosozialen Interventionen gearbeitet wird. Auch die Schaffung einer offenen Lernkultur, welche gegenseitige Unterstützung, Feedbacks und Reflexion fördert, ist wichtig. Es gibt in der Langzeitpflege häufig eine hohe Arbeitsbelastung, auch wegen des Fachkräftemangels. Das erschwert die Arbeit mit nicht-medikamentösen Ansätzen. Umso wichtiger ist eine klare Haltung des Managements. Natürlich sind auch die Haltung, die Sozial- und

10 ARTISET 04/05 I 2024 STEFAN TRACHSEL www.keller-be atung.ch 056 483 05 10 5405 Baden-Dättwil Strategie Projekte Controlling Prozesse digitaliSierungSStrategie – bedürfniSgereCht «Von der Strategie zur Masterplanung: Wir unterstützen Sie bei der Erarbeitung Ihrer Strategie und deren Konkretisierung in zukunftsgerichtete Umsetzungspakete. Gerne berate ich Sie persönlich.» Ihre Spezialisten für Spital, Heim und Spitex Kommunikationskompetenzen wie auch die Ausbildung von Fachpersonen für die Durchführung von nicht-­ medikamentösen Interventionen und für eine hilfreiche Reaktion in anspruchsvollen Situationen wichtig. Können Sie diese schwierigen Situationen und den Zusammenhang mit nicht-medikamentöser Behandlung noch genauer erläutern? Bei Menschen mit einer Demenz treten häufig eine Reihe von psychischen und Verhaltenssymptomen als Folge ihrer Krankheit auf, die sogenannten BPSD, Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia. Dazu gehören Apathie, Agitation, Aggression, Angst, Depressivität, Schlafstörungen, Halluzinationen, Wahnvorstellungen und andere Verhaltensauffälligkeiten. Hinter diesen Symptomen stehen häufig Leiden und unbefriedigte Bedürfnisse, welche die Betroffenen nicht anders mitteilen und nicht selber angehen können. Solche Situationen sind häufig sehr belastend für die Betroffenen, aber auch für Angehörige und Fachpersonen. Grundsätzlich möchten die Pflegenden den Bewohnenden helfen – wenn dies jedoch nicht gelingt, kann dies zu Stress und Frustration führen, was sich wiederum negativ auf die Bewohnenden und ihre Symptome auswirken kann. Nicht-medikamentöse Therapien und Interventionen erleichtern den Umgang mit den BPSD. Es handelt sich dabei auch um Selbstverständliches und Natürliches, wie beispielsweise tägliche Bewegung an der frischen Luft, wozu leider nicht alle Bewohnenden in Pflegeheimen die Möglichkeit haben. Warum wird denn diese niederschwellige, nicht-medikamentöse Behandlung nicht öfter eingesetzt? Das hat viele Einflussfaktoren, die bereits erwähnte Haltung und Kultur einer Organisation spielen eine Rolle. Weitere wichtige Faktoren sind der Fachkräftemangel und das Abrechnungssystem. Ein Beispiel dazu: Der Spaziergang gilt im Normalfall als Betreuungsleistung und kann nicht als Pflegeleistung abgerechnet werden, auch wenn er guttut. Zudem ist bekannt, dass Pflegende bei Zeitmangel eher klar definierte Aufgaben wie die Körperpflege durchführen. Solche Aufgaben sind konkreter, leichter messbar und abrechenbar. Nicht-medikamentöse Interventionen werden bei Zeitmangel eher weggelassen und psychosoziale Grundbedürfnisse bleiben dann vielleicht unbefriedigt. Welches sind besonders vielversprechende nicht-medikamentöse Therapien? Dies ist eine schwierige Frage, denn je gezielter nicht-medikamentöse Therapien auf die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Menschen zugeschnitten sind, desto besser wirken sie. Entsprechend schwierig ist es, die Wirkung von nicht-medikamentösen Interventionen in Studien zu messen und zu verallgemeinern. In der Alterspflege ist die Wirksamkeit von Musik und Bewegung gut belegt. Aus meinem «Der personenzentrierte und ganzheitliche Ansatz ist entscheidend bei den nicht-­ medikamentösen Behandlungen.» Eliane Baumberger Anzeige

ARTISET 04/05 I 2024 11 Berufsalltag als Pflegefachfrau kann ich bestätigen, dass etwa die jeweilige Lieblingsmusik bei Menschen mit Demenz gut wirkt. Ich mag Musik ebenfalls. Wenn ich im Gemeinschaftsraum Musik laufen liess, ergaben sich häufig spontan positive Interaktionen. Wenn es gelingt, an die Lebenswelt der Bewohnerinnen und Bewohner anzuknüpfen, trägt das ebenfalls zur Zufriedenheit bei – wenn etwa jemand, der früher als Handwerker arbeitete, mit einem Schraubenzieher hantieren kann. So kommt die jeweilige Individualität zum Vorschein. Deswegen gibt es nicht eine Therapie oder Intervention, die für alle passt. Welche nicht-medikamentösen Behandlungen werden besonders oft angewendet? Je nach Institution werden verschiedene Akzente gesetzt. Häufig werden Beschäftigungen angeboten und soziale Kontakte gefördert, zum Beispiel in Form von Aktivierungstherapie in Gruppen. Manchmal werden auch kulturelle Anlässe veranstaltet. Einige Heime haben auch einen Garten mit verschiedenen Sitzmöglichkeiten und vielleicht sogar mit Tieren. All dies kann einen emotionalen Bezug schaffen und Gefühle von Sinnhaftigkeit und Verbundenheit ermöglichen, die so wichtig für uns Menschen sind. Auch die Architektur, die Lage und die Grösse von Institutionen können nicht-medikamentöse Therapien fördern oder hemmen. Kleinere, familiäre Heime in der Natur haben im psychosozialen Bereich einen Vorteil. Dafür ist häufig eine umfassende und interprofessionelle Versorgung, besonders für Menschen mit hohem und komplexem Bedarf, schwieriger. Sie haben nun vor allem von Menschen im Alter und in der Langzeitpflege gesprochen. Wie sieht es bei Personen mit Einschränkungen generell aus? Die menschliche Interaktion ist ein Hauptwirkfaktor von nicht-medikamentösen Therapien, und diese ist für alle Menschen, auch für diejenigen mit physischen, psychischen und kognitiven Einschränkungen und Erkrankungen wichtig. Beeinträchtigungen und ihre Folgen können für Betroffene und ihre Angehörigen belastend sein. Daher besteht häufig ein Bedarf an psychosozialer Unterstützung – was auch zur nicht-medikamentösen Behandlung gezählt werden kann. Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Ich hoffe, dass es gelingt, das Gegenüber wieder stärker als Mensch zu sehen und auch so zu behandeln und zu pflegen. Das ist ein grosses Anliegen, das ich mit vielen Pflegenden und anderen Fachpersonen teile und das mich zu meiner Forschungsarbeit in diesem Bereich motiviert. Deshalb wünsche ich mir, dass nicht-medikamentöse Therapien und Interventionen in der Praxis noch stärker eingesetzt werden. Ich bin überzeugt, dass dies den Betroffenen, ihren Angehörigen wie auch den Fachpersonen zugute kommt und so einen positiven Effekt auf Organisationen und die Gesellschaft hat. In der Praxis widerspiegeln die Abrechnungssysteme den psychosozialen Unterstützungsbedarf noch wenig, hier gibt es viel Luft nach oben. * Eliane Baumberger ist Pflegeexpertin an der Alterspsychiatrie und Psychotherapie der UPD und schreibt zurzeit eine Dissertation zum Thema nicht-medikamentöse Interventionen in Kooperation mit der Berner Fachhochschule, Departement Gesundheit. Eliane Baumberger: «Die menschliche Interaktion ist ein Hauptwirkfaktor von nicht-medikamentösen Therapien.» Foto: esf «In der Alterspflege ist die Wirksamkeit von Musik und Bewegung gut belegt.» Eliane Baumberger Im Fokus

12 ARTISET 04/05 I 2024 « Entdecken, was guttut und stärkt» Kirschsteinbad in den Räumen der Heilpädagogischen Schule von MitMänsch Oberwallis: Voller Freude wirft Enea Kirschsteine ins Zimmer. Foto: Marco Zanoni

ARTISET 04/05 I 2024 13 Im Fokus Sie mögen unscheinbar wirken. Doch oft sind sie es, die im Alltag der Stiftung MitMänsch Oberwallis den entscheidenden Unterschied machen: Angebote wie Snoezelen, Basale Stimulation, Bällchenbad, Reiten, Schwimmen, Musizieren oder Malen. Sie ermöglichen es Kindern wie Erwachsenen, Körper und Gefühle besser wahrzunehmen, zu entspannen und schiere Lebensfreude zu erleben. Ein Besuch im Oberwallis. Von Barbara Lauber Umgeben von Hunderten farbiger Bällchen schliesst Enea die Augen, steckt den Daumen in den Mund und wird still. Noemi Sieber lächelt und streicht ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. «Normalerweise greift Enea sofort nach gelben Bällchen, wirft sie herum und lacht», erzählt die Heilpädagogin. Doch Enea hatte am Vortag einen schweren epileptischen Anfall. «Nach solch heftigen Erlebnissen können Kinder im Bällchenbad entspannen und zur Ruhe kommen. Hier dürfen sie einfach sein, ohne Angst, ohne Gefahr. Die Bällchen drücken sanft auf den Körper, geben Halt und erlauben es loszulassen.» Flexibel anpassbare Angebote Je nach Kind und Tagesform erlebt Noemi Sieber im grossen Bällchenbad der Heilpädagogischen Schule von MitMänsch Oberwallis wildes Herumtoben, konzentrierte Lernsequenzen, fokussierte Körpertrainings oder spontane Entspannungsrunden. Die Bällchen mögen banal wirken, ermöglichen der Heilpädagogin jedoch unterschiedlichste Trainingsangebote, die sie flexibel den Bedürfnissen der Kinder anpasst. So auch bei Enea. «Enea spricht nicht, sitzt fast immer im Buggy, gibt Dinge nicht gerne aus der Hand oder wirft sie weg. Im Bällchenbad übt er unkompliziert, selbstständig zu sitzen und mit mir zu kommunizieren, und lernt, Bälle zu geben und zu nehmen, ohne sie wegzuwerfen.» Wach wird Enea erst im Kirschsteinbad. Dort gleiten seine schmalen Hände wieder und wieder durch die trockenen, leise klackernden Kirschsteine – bis er sich auf einmal aufrichtet und mit einem Juchzen Steine ins Zimmer wirft. Ein Lachen erhellt sein Gesicht, und auch Noemi Sieber lacht: «Es ist eindrücklich zu erleben, wie dieselben Angebote je nach Kind Entspannung, Konzentration oder Wachheit auslösen.» Eine echte Wahl bieten Bällchen- und Kirschsteinbad sind nur zwei von knapp einem Dutzend nicht-medizinischer Angebote von MitMänsch Oberwallis, die den Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen sowie Seniorinnen und Senioren mit teilweise schwerer kognitiver und körperlicher Beeinträchtigung offenstehen. Sie sind längst fester und unverzichtbarer Bestandteil des institutionellen Alltags und machen nicht selten einen entscheidenden Unterschied in der Begleitung. Sie reichen von wöchentlichen Angeboten wie Schwimmen, therapeutischem und pädagogischem Reiten, Musizieren, Snoezelen und Basaler Stimulation bis hin zu ausserordentlichen Angeboten wie Malen, Yoga oder Wellness-­ Wochenenden in der Wohngruppe. «Wir entwickeln unsere Angebotspalette laufend weiter», sagt Direktorin Alexandra Horvath. «Unsere Maxime ist: Alles, was den Menschen in unserer Stiftung nützt und dient und was wir finanzieren können, nehmen wir auf.» Und Stiftungsratspräsidentin Nicole Ruppen ergänzt: «Wir wollen den begleiteten Menschen vom Kleinkindalter bis ins hohe Seniorenalter Vielfalt und Auswahl bieten. Sie sollen sich ein Leben lang vielfältig ausprobieren können und entdecken, was ihnen guttut, was sie stärkt und ihnen Freude macht.» Lebensfreude und Entspannung Lauter und leiser Freude und Körperlichkeit begegnet man an diesem Tag bei MitMänsch Oberwallis immer wieder. Im Esssaal am Standort Steg beispielsweise, wo fünfzehn Personen zu dröhnender Schlagermusik voller Inbrunst Rasseln schwingen, auf Trommeln hauen oder in die Hände klatschen. Im Treppenhaus in Brig-Glis, wo eine Gruppe Kinder sich kichernd Farbe an die Hände schmiert und Blumen an die Fenster malt. Beim heilpädagogischen Reiten, wo ein Mädchen seine Arme um den Pferdehals schlingt und ihre Nase sanft ins Fell drückt. Oder im Snoezelraum, wo sich eine Bewohnerin der Briger Senioren-Wohngruppe ins warme Wasserbett legt und mit einem zufriedenen Brummen die Augen schliesst. Ihre Betreuerin legt der Seniorin eine Wolldecke über die Beine, dimmt das Licht und macht den Lichterhimmel

14 ARTISET 04/05 I 2024 und leise Musik an. «Das Snoezelen ist bei Bewohnerinnen und Bewohnern jeden Alters sehr beliebt», erzählt die Sozialpädagogin leise. Deshalb gebe es inzwischen an den meisten Standorten der Stiftung sehr gut besuchte Snoezelräume. «Unsere Bewohnenden entspannen sich hier sichtlich. Sie können sich fallenlassen, Stress, Frust und Aggressionen hinter sich lassen und einen Moment der Ruhe geniessen.» Nach dem Snoezelen seien die Bewohnenden oftmals sehr «bei sich», ausgeglichener und präsenter. «Nicht selten sind danach gute Gespräche möglich. Manchmal lösen die Entspannung und die mitgebrachte oder ausgewählte Musik bei den Bewohnerinnen und Bewohnern auch Erinnerungen aus – meistens schöne, manchmal aber auch schwierige», erzählt sie. Unterschiedliche Sinne anregen In den Räumen der Heilpädagogischen Schule ist Nicos Fussen in seinem Element. Der Heilpädagoge verbindet das Fach Deutsch mit Basaler Stimulation und erzählt seiner Klasse gerade mithilfe unterschiedlichster Utensilien eine Osterhasengeschichte. Loris, der mit ernstem Blick im Rollstuhl sitzt, verzieht jäh das Gesicht zu einem breiten Lachen, als Fussen vom blauen Himmel erzählt und ihm ein blaues Tuch übers Gesicht gleiten lässt. Und sein Klassenkollege vis-à-vis beginnt aufgeregt zu wippen, als es in der Geschichte plötzlich regnet und Nicos Fussen ihm feine Wassertröpfchen ins Gesicht stäubt. «Diese Kinder teilen sich nicht über Sprache mit. Deshalb versuchen wir, ihnen die Geschichte über verschiedene Sinne zugänglich zu machen», erklärt Fussen später. Er beschränke sich in der Basalen Stimulation immer auf bestimmte Reize und flechte diese Woche für Woche in die Geschichten ein. «Dadurch werden die Kinder mit den Reizen immer vertrauter, sodass einige von ihnen diese mit der Zeit auch für ihre Kommunikation nutzen.» Ergänzend, ganzheitlich, bereichernd «Die nicht-medizinischen Angebote sind eine wichtige Ergänzung zu den klassischen Angeboten wie Psychomotorik, Ergo-, Logo-, Pharmako- und Physiotherapie und erlauben eine ganzheitliche Unterstützung», sagt Direktorin Alexandra Horvath auf dem Weg zu den Tages- und Werkstätten in Steg. «Sie sollen zum einen Spass machen, neue Erfahrungen bieten und Entwicklung ermöglichen. Zum andern unterstützen sie die begleiteten Menschen dabei, sich und ihren Körper noch besser zu spüren, sich zu entspannen, zu aktivieren und ihre Emotionen zu regulieren.» Darum geht es auch im Malatelier am Standort Steg. Das Atelier wurde zum 60-Jahr-Jubiläum der Stiftung neu geschaffen und entpuppte sich bereits nach den ersten Wochen als Volltreffer. Im Jubiläumsjahr können es alle 35 Teilnehmenden der Tagesstätte alle zwei Wochen besuchen. «Die Teilnehmenden machen engagiert und mit Freude mit. Niemand schwänzt», erzählt Layla Lagger, die als Sozialpädagogin und angehende Maltherapeutin das Atelier zusammen mit Jessica Ritter und Izahir Nuhi leitet. Das Atelier stelle einen sicheren Rahmen dar, in dem die Teilnehmenden sich kreativ ausdrücken, sich selbst wahrnehmen und Selbstvertrauen entwickeln könnten. «Wir stellten bereits bei vielen Teilnehmenden eine Entwicklung fest: im kreativen Ausdruck, in der Technik und auch in der Lautsprache», erzählt Layla Lagger. Stärken und Talente entdecken Im hellen Atelier herrscht schon fast euphorische Stimmung. Gemalt wird mit den Händen, mit Pinsel und auch mal mit dem Ellenbogen. Der ganze Raum scheint in Bewegung zu sein. Hier wischen die Hände einer jungen Frau wild übers Papier und hinterlassen blaugrüne Spuren. Dort wippt ein junger Mann vor und zurück, unschlüssig, in welche Farbe er den Pinsel tauchen soll. Der Kollege neben ihm pinselt derweil hochkonzentriert rote Farbe aufs Papier. Dazwischen leise hervorgestossene Laute, Stampfen, lautes Atmen, Aufregung wegen eines Farbflecks auf der Jeans, Freude über ein fertiges Bild. David Werlen steht etwas abseits und beobachtet das Ganze mit einem Schmunzeln. Der Bereichsleiter arbeiten & beschäftigen hat bei MitMänsch Oberwallis die Verantwortung für 170 Mitarbeitende, kennt fast jede begleitete Person mit Vornamen und ist für alle einfach «där David». «Die Stiftung wollte den Teilnehmenden zum Jubiläumsjahr ein Geschenk machen und sich für ein Malatelier entschieden», erzählt er. «Es wurde noch besser aufgenommen als erwartet.» Gut möglich, dass die Stiftung dieses fest ins Angebot aufnehmen werde. Denn für David Werlen wird im Malatelier einmal mehr deutlich, wie viele Talente und Stärken in den begleiteten Personen schlummerten. «Die Aufgabe von MitMänsch Oberwallis ist es deshalb auch, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Stärken zu entdecken, auszuleben und weiterzuentwickeln.» «Die Aufgabe von MitMänsch Oberwallis ist es, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Stärken zu entdecken, auszuleben und weiterzuentwickeln.» David Werlen, Bereichsleiter arbeiten & beschäftigen

ARTISET 04/05 I 2024 15 Im Fokus Wie ein Elixier wirkt die hypnotische Kommunikation bei der Betreuung von Betagten. Das zeigen Beispiele aus dem Altersheim St. Urban in Winterthur. In Krisensituationen werden die betreuten Personen behutsam abgeholt und zu positiven Momenten in ihrem Leben geführt. Ab und zu auch mit einem Schwebevogel. Von Christian Bernhart (Text und Foto) Zum Erfreulichen des Lebens zurückführen Den Zeigefinger seiner rechten Hand hält Roland Krattiger unter die Schnabelspitze der Möwe, auf die man gespannt blickt, weil sie, nur punktuell gestützt, seitlich, mal links, mal rechts, zu kippen droht. Passiert aber nicht. Balance-Bird, so der Name dieses Kinder-Schwebevogels, zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Die Möwe dient Krattiger, dem Pflegefachmann und Teamleiter Alterswohngruppen im Altersheim St. Urban in Winterthur, in Krisensituationen für die hypnotische Kommunikation, wie er im folgenden Beispiel ausführt. Der Betagte hatte an diesem Morgen einmal mehr gar keinen guten Tag. Er zeigte Angst, die in Aggression überging, wie Krattiger erzählt: «Als ich in sein Zimmer für die Grundpflege kam, fing er an zu fluchen und zu schimpfen, sodass ich mich so nicht zu ihm traute. Darauf holte ich die magische Möwe, betrat erneut das Zimmer, hielt sie ihm hin und sagte ruhig: ‹Schauen Sie mal, was ich hier habe.› Der Betagte fixierte den in Balance gehaltenen Vogel, den ich ihm übergab. Ich fragte ihn ruhig: ‹Wenn Sie jetzt ein Vogel wären, wohin würden Sie fliegen?› Er sagte, zu meinen Katzen. Wir fingen an, über seine Katzen zu sprechen; er erzählte von ihren Eigenarten und nannte ihre Namen. So traten sie vor seine Augen, er fing an, sich wohlzufühlen, und liess sich in dieser Situation problemlos pflegen.» «Der Vogel ist für uns ein Hilfsmittel», präzisiert die Bereichsleiterin Pflege Andrea Ott, denn: «Er richtet den Fokus auf etwas anderes, und während sich die Leute auf ihn konzentrieren, kommen sie ein bisschen in Trance.» Die Ablenkung hin zur Trance ist ein wichtiger Einstieg in die Hypnose. Die Pflegefachleute im Altersheim St. Urban in Winterthur verwenden Hypnose nicht als Therapie, sondern als hypnotische Kommunikation in der Betreuung ihrer Heimbewohnerinnen und -bewohner. Hier leben 60 Personen in der Alterswohngruppe, 24 in der Pflegewohngruppe und 36 betagte Personen in zwei Demenzhäusern. Mit Empathie zu den lichten Momenten In der hypnotischen Kommunikation gehe es darum, auf die Person in ihrer Krise oder Trauer einzugehen und sie im Gespräch empathisch auf die guten oder besseren Momente in ihrem Leben hinzusteuern, wie Andrea Ott erklärt und dies an der Begegnung einer Heimbewohnerin illustriert, deren Mann eben auf der Demenzabteilung verstorben war. «Ich traf sie weinend im Empfangsbereich unseres Altersheims und fragte sie, was sie so

16 ARTISET 04/05 I 2024 bedrücke. Sie meinte, es sei nun so schwierig für sie, alleine ohne ihren Mann weiterzuleben. Nach dem Zuhören fragte ich sie, ob es noch etwas gebe, das ihr guttun würde. ‹Ja, die Familie und die Söhne, die mir helfen und mich unterstützen.›» Diese Antwort öffnete die Tür für die hypnotische Kommunikation: Ott erkundigte sich nach der Familie, die sie am selben Abend noch besuchen komme, und erfuhr überdies, dass nochmals ein Enkelkind zur Welt gekommen sei. Nachdem sich das Gemüt der Frau wieder gelichtet hatte, erzählte sie ihr zudem bei einem gemeinsamen Kaffee eine passende, beruhigende Entspannungsgeschichte aus dem Buch: «Auf den Schultern des Windes schaukeln» von Daniel Link. Vor einem Jahr führte Andrea Ott die hypnotische Kommunikation als Betreuungsinstrument in ihrem Altersheim ein. Den Grundkurs, angeboten von der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Hypnose (SMSH), ist von den Teamleitenden schon besucht worden, und 40 von den insgesamt 120 festangestellten Pflegenden hatten eine halbtägige Einführung. In jeder Abteilung haben dadurch mindestens sechs Mitarbeitende diese Kenntnisse erworben. Halbjährlich können weitere Mitarbeitende Kurse besuchen, und jedes Jahr besucht eine Anästhesistin als Hypnosefachfrau das Altersheim und bringt die Mitarbeitenden auf den neusten Stand. Eine Haltung, die Einfluss auf alle Mitarbeitenden hat Andrea Ott betont, dass hinter der hypnotischen Kommunikation eine Haltung steht, welche bei jeder Begegnung auch die Wortwahl beim Gespräch beeinflusst, denn: «‹Haben Sie keine Angst› als Einleitung zu einer Behandlung bewirkt, dass das Gegenüber auf Angst hingesteuert wird. Sage ich jedoch: ‹Sie können sich wohlfühlen, ich höre ihnen zu›, so wird mein Gegenüber die Situation eher positiv erleben.» Krattiger geht aufgrund seiner Kurserfahrung anders auf die betagten Personen zu: «Habe ich früher gesagt: ‹Jetzt gibt’s das Morgenessen, ich helfe ihnen beim Waschen›, so frage ich heute: ‹Sind Sie schon bereit, um gewaschen zu werden, oder brauchen Sie noch Zeit?›» Diese Haltung schlägt sich auch auf die Gespräche mit den Mitarbeitenden und den Umgang der Pflegenden untereinander nieder, sagt Ott: «Wir schauen zwar die Probleme an, verharren aber nicht darin, sondern fragen nach dem, was gut läuft, weil sich daraus Lösungsansätze ergeben und Projekte, die auf ein neues Gesundheitswesen zielen.» Schliesslich könne man die Haltung auch im Sinn einer Selbsthypnose anwenden, ist Ott überzeugt: «Bin ich im Stress, dann setze ich mich, schliesse die Augen, atme ruhig und tief und stelle mir meinen paradiesischen Platz auf den Malediven vor.» Gerade in der Pflege, wo es an genügend Personen mangelt, sei es wichtig, wie man mit sich selbst umgehe. Wissenschaftlich fundiert untersucht Bei der hypnotischen Kommunikation handelt es sich nicht bloss um in Wort gefasste Gedankenspiele, die mal zufällig Der Schwebevogel auf einem Finger von Pflegefachmann Roland Krattiger: ein Hilfsmittel, um die Menschen in eine andere Welt zu entführen.

ARTISET 04/05 I 2024 17 «In der hypnotischen Kommunikation geht es darum, auf die Person in ihrer Krise und Trauer einzugehen und sie im Gespräch auf die guten oder besseren Momente in ihrem Leben hinzusteuern.» Andrea Ott, Bereichsleiterin Pflege des Altersheims St. Urban in Winterthur wirken, mal auch nicht. Die Burgdorfer Anästhesistin und Schmerztherapeutin Bettina Kleeb, die innerhalb der SMSH entsprechende Kurse leitet, erklärt, dass in der Pflege dazu einschlägige wissenschaftliche Erkenntnisse vorhanden sind. So stuften Probanden einen zugeführten Schmerzreiz mit Stärke 8 (Skala 1 bis 10) unterschiedlich ein, je nachdem, wie man ihnen dasselbe Medikament verabreicht hatte: mit Stärke 7 bei kommentarloser Abgabe, mit Stärke 5 beim Hinweis, das zurzeit beste Medikament zu erhalten, hingegen mit Stärke 8 beim Kommentar, man wisse nicht, wie es wirkt. Bettina Kleeb betont, dass bei medizinischen Behandlungen die Hypnose unterschiedlich eingesetzt wird, einerseits um Patienten in die Narkose zu begleiten oder auch anstelle der Narkose, zur Behandlung von Schmerzen nach der Operation oder von chronischen Schmerzen oder für Zahnbehandlungen. Deren Wirksamkeit belegen klinische Studien. Eine Doppelblindstudie mit 241 Patienten deckte auf, wie die Hypnose im Gegensatz zur konventionellen Sedierung während der interventionellen Radiologie bei Gefässen und Nieren wirkt (Elvira V. Lang et al, Lancet 2000). Sie linderte die Schmerzen in der Stärke um 7 Punkte (1 statt 8) sowie in der Dauer (150 statt 195 Minuten) und reduzierte Angstempfinden um 6 Punkte (1 statt 7). Und die Eingriffe dauerten unter Hypnose im Schnitt nur 61 anstatt 78 Minuten. Die Westschweiz nimmt eine Pionierrolle ein In der Hypnose steuern die Hirnzellen das Empfinden neu. Diese Wirkungsweise hat insbesondere im belgischen Liège wirkende Anästhesistin Marie-­ Elisabeth Faymonville anhand von bildgebenden Verfahren aufgezeigt. So finden unter Hypnose Veränderungen vor allem unter der Grosshirnrinde im mittleren cingulären Cortex statt, dort, wo autonome Prozesse wie Blutdruck und Herzfrequenz gesteuert werden und der bei der Angstregulierung mitbeteiligt ist (Faymonville, M. E. et al., 2003). Die Einführung von Hypnose in der medizinischen Behandlung ging von der Westschweiz aus. Insbesondere die Internistin Chantal Berna Renella, die am Universitätsspital Lausanne die integrative und komplementäre Medizin leitet, wies in einer Vergleichsstudie nach, dass Hypnose bei Schmerzen auch wirkt, wenn das für die Schmerzregulierung wichtige Endogene Opioid-System medikamentös unterdrückt wird (Chantal Berna et al., Journal of Neuroscience, 2018). Und am Genfer Universitätsspital haben die Kinderärztin Claire-Anne Siegrist und Anästhesistin Adriana Wolff vor acht Jahren die hypnotische Kommunikation in der Pflege eingeführt. Die SMSH organisiert und führt heute deshalb auch Kurse für das Pflegepersonal durch. Das Akronym SMSH steht für La Société Médicale Suisse pour l’Hypnose. Für den klinischen Bereich wurde bereits 1985 die Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie Schweiz (GHYPS) gegründet. Sie zählt heute gut 350 Mitglieder. Die SMSH ist gut vernetzt mit den europäischen sowie den internationalen Hypnosegesellschaften. KURSE IN HYPNOTISCHER KOMMUNIKATION Schweizerische Ärztegesellschaft für Hypnose SMSH: Sie bietet für Pflegefachleute einen viertägigen Grundkurs an und dazu noch Weiterbildungskurse zu besonderen Themen. Im viertägigen Grundkurs erfährt man die Unterschiede zwischen hypnotischer Kommunikation und medizinischer Hypnose sowie der Hypnotherapie, die in der Psychotherapie angewendet wird. Dazu gehören auch der technische Ablauf bei einer hypnotischen Kommunikation sowie die Selbsthypnose. Schliesslich erfährt man auch die Anwendung bei medizinischen Eingriffen. Kursort ist Balsthal (smsh.ch). Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und -männer SBK: Der Verband bietet in Schwerzenbach ZH eine Einführung in hypnotische Kommunikation an (sbk-asi.ch). Im Fokus

Mehr Lebens- und Betreuungsqualität dank modernen Technologien PUBLIREPORTAGE Was haben «kühle» digitale Systeme mit menschlicher Wärme zu tun? Eine Menge, sind die Verantwortlichen des Alterszentrums zur Rose überzeugt. Geschäftsleiter Reto Weber gibt einen spannenden Einblick in seinen modernen Betrieb. Manchmal gedeihen neue Ideen gerade dort besonders gut, wo man es am wenigsten erwartet. Direkt an der Grenze zu den Kantonen Glarus und St.Gallen liegt das Schwyzer 4000-Seelen-Dorf Reichenburg. Im Alterszentrum zur Rose sind 48 Menschen zu Hause. Viele von ihnen nehmen an den Bewohner*innen-Bausitzungen teil und bestimmen zum Beispiel mit, mit welchen Stühlen die Aufenthaltsräume möbliert werden: Basisdemokratie im Altersheim. Neue Wege gehen Reto Weber und sein Team auch bei der Unterstützung der Pflege, der Betreuung und des Unterhaltungsangebots. «Die Renovation des Hauses ist die ideale Gelegenheit, um auch das ‹digitale Gebäude› zu erneuern», führt er aus. «Wir wollen die Chance nutzen, unsere Arbeit mit Hilfe von zeitgemässen digitalen Werkzeugen zu unterstützen und zu vereinfachen.» mit einem Knopfdruck aktiv einen Bewohnerruf auslösen. Der Alarm wird direkt auf das Smartphone der zuständigen Pflegefachpersonen übertragen. Diese orten die betroffene Person auf ihren Handys – und wer interveniert, quittiert den Alarm. «Früher eilten manchmal drei Mitarbeiter*innen gleichzeitig zu Hilfe. Heute ersparen wir uns solche Leerläufe», sagt Reto Weber dazu. Der Badge diene den Bewohner*innen überdies als Zimmerschlüssel. Mit SmartLiberty vereinfache sein Betrieb zahlreiche weitere Prozesse: «In der Smartphone-App sind alle Mitarbeiter*innen samt ihren Rollen und aktuellen Stati sichtbar. So wissen immer alle, wer gerade erreichbar ist. Zudem können wir Mitteilungen an bestimmte Personengruppen versenden. Oder – wenn uns bei einer Bewohnerin etwas auffällt – ein Foto davon machen und es Reto Weber, Geschäftsleiter Alterszentrum zur Rose in Reichenburg «Unser Mehrwert: weniger Leerlauf, mehr Zeit für die Bewohner*innen, zufriedene Mitarbeiter*innen.» Digitalisierung im Alterszentrum zur Rose Reichenburg Mit weniger Aufwand zu mehr Sicherheit Reto Webers Büro liegt direkt neben dem Haupteingang des Alterszentrums. «Sobald ein weglaufgefährdeter Bewohner das Haus verlässt, erhalte ich auf dem Handy eine Alarmmeldung», erzählt er. «Ich kann sofort reagieren und ihn in eine sichere Umgebung zurückbegleiten. Zugleich quittiere ich den Alarm, so dass die zuständigen Mitarbeiter*innen nicht umsonst ihr Stockwerk verlassen müssen. Auch sie werden auf ihren Handys alarmiert.» Möglich macht diese schnelle Reaktion die SmartLiberty-Plattform. Die Bewohner*innen tragen am Handgelenk einen multifunktionalen Badge, welcher dem System ihre Position im Gebäude übermittelt. Falls sie Hilfe benötigen, können sie direkt an die zuständige Pflegestation schicken. Oder an den technischen Dienst, falls ein technisches Problem vorliegt. Die Empfänger*innen haben sofort ein klares Bild der Situation.» Der hilfreiche Radar an der Zimmerdecke Sitzt eine Bewohnerin im Bett auf? Bewegt sie sich zum Bettrand, geht sie vom Bett weg – oder stürzt sie? Auch zu diesen Situationen werden die Pflegefachleute rasch und bedürfnisgerecht auf ihren Handys informiert – mittels QUMEA. Dieses System für Sturzprävention und Mobilitäts-Monitoring wird auf den individuellen Zustand der Bewohner*innen eingestellt und ermöglicht

frühzeitiges Eingreifen und eine effektive Prävention. Reto Weber nennt weitere Vorteile: «Das System wird dank KI-Lernfunktion immer präziser. Und: Das aufwendige Installieren von Fussmatten- Sensoren und Kabeln entfällt. Im Zimmer sichtbar sind einzig zwei diskrete Sensoren an der Decke.» Übrigens: Das Alterszentrum zur Rose hat QUMEA als erste Institution in der Schweiz in die SmartLiberty-Plattform integriert, zusammen mit Swisscom und dem Hersteller. Die Mitarbeiter*innen seien zufrieden mit den neuen digitalen Tools, stellt Reto Weber fest. «Pflegefachleute sind grundsätzlich nicht sehr IT-affin. Aber weil der Nutzen so offensichtlich ist, können sie sich einen Alltag ohne diese zeitgemässen Hilfsmittel nicht mehr vorstellen. Die Pflegeberufe werden durch die Digitalisierung insgesamt aufgewertet.» Ein attraktives und pflegeleichtes TV-Angebot Früher bereiteten die TV-Geräte der Bewohner*innen dem Team des Alterszentrums Bauchschmerzen: Die Senderlisten gerieten durcheinander, viele Bewohner*innen waren mit der Bedienung überfordert. «Wir investierten viel zu viel Zeit in das Troubleshooting», erinnert sich Reto Weber. Mit der Einführung von blue TV Host hat das Alterszentrum Tabula Rasa gemacht. Es schaffte 48 moderne, einheitliche Geräte an. Die Senderliste wird zentral am PC programmiert. Um ungewollte Aktionen zu verhindern, ist jede Fernbedienung mit einer speziellen und sturzfesten Hülle ausgestattet, die Swisscom für Alters- und Pflegeheime hat entwickeln lassen. Dazu Reto Weber: «Mit ihr sind ausschliesslich die wichtigsten Funktionen wie Ein/Aus, Lautstärke oder Programmwahl zugänglich. Gerade für Menschen mit kognitiven Einschränkungen ist dies extrem hilfreich. Mit blue TV Host haben wir nicht nur unseren Aufwand massiv reduzieren können. Wir nutzen es auch als Informationsmedium. Auf der Startseite der TVs erscheint unser eigener Infokanal. Hier präsentieren wir unter anderem das Aktivierungsprogramm, den aktuellen Speiseplan oder neu eintretende Mitarbeiter*innen.» Swisscom (Schweiz) AG Geschäftskunden, Postfach, CH-3050 Bern Tel. 0800 055 055, www.swisscom.ch/kmu Digitalisieren mit kompetenter Begleitung Moderne, effiziente Systeme für Alters- und Pflegeinstitutionen benötigen ein starkes technisches Rückgrat. Zum Beispiel für die ausfallsichere Datenübermittlung von SmartLiberty und QUMEA. Im Alterszentrum zur Rose erfolgt diese redundant über WLAN und ein Mobilfunknetz – installiert und betreut von Swisscom und ihrem lokalen Partner. Zusammen mit blue TV Host, der virtuellen Telefonanlage und den Smartphone-Abos erhält das Alterszentrum alle Leistungen aus einer Hand von Swisscom – inklusive Support. Rufen Sie uns an für ein kostenloses Beratungsgespräch: 0800 055 055. Mehr Infos: swisscom.ch/kmu

20 ARTISET 04/05 I 2024 Federn, Fell und Freude Einmal in der Woche besucht Bewohnerin Margot Scheidegger (Name geändert) mit ihrer Ergotherapeutin die Meerschweinchen. Sie wecken bei ihr positive Emotionen. Fotos: Marco Zanoni

ARTISET 04/05 I 2024 21 Im Fokus Tiere tun gut. Dieser Philosophie folgt das Pflegezentrum Reusspark im aargauischen Niederwil mit seinen tiergestützten Interventionen. Hier treten Mensch und Tier regelmässig in Kontakt. Ob in Einzeltherapie oder im Gruppen-Setting: Die Begegnungen schaffen heilsame und wohltuende Momente für die Bewohner. Wir haben uns bei einem Besuch davon überzeugen lassen. Von Jenny Nerlich Es quiekt. Sechs aufgeregte Meerschweinchen flitzen vorne zur Gehegebrüstung, heben ihre kurzen Beinchen hinauf und strecken ihre Nasen keck empor. Es ist Zeit für die Fütterung. Nicht nur die Meersäuli freuen sich darauf, sondern auch Margot Scheidegger*. Margot ist Bewohnerin im Reusspark, dem einzigen Pflegezentrum in der Schweiz mit eigenem Kleintierpark und regelmässigen Angeboten an tiergestützten Interventionen. Der Reusspark liegt in Niederwil, im Aargau. Die weitläufige Wohn- und Parkanlage direkt an der Reuss bietet ihren Bewohnern zahlreiche Möglichkeiten, mit Flora und Fauna in Kontakt zu treten. Hier leben Esel, Minischweine, Ziegen, Hühner, Enten, Frettchen, Papageien, Kaninchen und: Meerschweinchen. Einmal in der Woche besucht Margot mit ihrer Ergotherapeutin die Meerschweinchen. Die kleinen Nager sind aktiv und fordern Margot zum Handeln und Bewegen auf. Und sie wecken positive Emotionen. Ihr quirlig-fröhliches Quieken lässt Margot vor Freude eine Träne verdrücken. Sie hält sich, gestützt von ihrer Ergotherapeutin, am Gehegerand fest und reicht den Nagern eine Karotte. Die knabbern gierig daran – doch plötzlich reisst ein kleiner Dieb die Karotte aus Margots Hand. Weg ist er. «Auf Wiedersehen», lacht sie. «Das Meersäuli hat wahnsinnige Kraft.» Als Nächstes bekommt Margot ein Stück Fenchel von der Ergotherapeutin. «Wissen Sie, was das ist?» «Fenchel», antwortet Margot. «Der riecht fein, nicht?» Margot nimmt den Duft der frischen Knolle wahr. «Ja», erwidert sie und lässt die Meersäuli an dem Gemüse nagen. Riechen, spüren, bewegen und sprechen: All dies verbindet die tiergestützte Therapie im Reusspark. Mit ihr sollen die motorischen, sensorischen und kognitiven Fähigkeiten der Bewohnenden erhalten oder verbessert werden. Die Tiere sind dabei die idealen Co-Therapeuten, denn sie werten nicht und nehmen jeden Menschen, wie er ist. Die Begegnungen mit den Meerschweinchen sind für Margot sehr wertvoll: «Es ist schön für mich. Und die Tiere spüren das», freut sie sich am Ende der Therapie. Tiergestützte Interventionen mit Profi Keine tiergestützte Intervention läuft ohne den aufmerksamen Blick von Cornelia Trinkl ab. Die diplomierte Tierpflegerin mit einer Fachausbildung für tiergestützte Interventionen ist für das Wohl der felligen und gefiederten Reusspark-Bewohner verantwortlich. Wie zum Beispiel für die Hühner, die jetzt für die nächste Tierbegegnung parat gemacht werden müssen. Dafür holt Trinkl zunächst grünen Salat, Körner und Decken und legt sie auf einen Rollwagen. Dann kommen die Hühner an die Reihe. Mit zwei Transportboxen betritt die Tierpflegerin das weitläufige Gehege. Sie schüttelt eine Schachtel mit Körnern und lässt einige davon in die Transportkisten rieseln. Das köstliche Geräusch lockt das Federvieh aus allen Richtungen an. Einige Mutige wackeln unbeirrt in die zwei Transportboxen. «Ich nehme nur Hühner mit, die freiwillig kommen», erklärt Trinkl. «Die Hühner wissen, dass die Box Kontakt mit Menschen bedeutet.» Tiere müssen Freude an Menschen haben Von klein auf sind die Hühner im Reusspark an den Kontakt mit Menschen gewöhnt. Es gibt jedoch auch «Second-­ Hand-Tiere», wie Cornelia Trinkl augenzwinkernd erzählt. Die werden nach ihrem Charakter für die tiergestützten Interventionen ausgewählt. Denn nicht jedes Tier WIRKSAMKEITSSTUDIE ZUR TIERGESTÜTZTEN THERAPIE Wie gut und nachhaltig tiergestützte Therapien auf Menschen wirken, ist bisher kaum erforscht. Daher führt die Universität Zürich in Zusammenarbeit mit dem Pflegezentrum Reusspark aktuell eine mehrjährigen Wirksamkeitsstudie durch. Untersucht wird auch die Frage, ob der regelmässige therapeutische Kontakt mit Tieren eine Medikamentenreduktion ermöglicht.

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