ARTISET Magazin | 1-2 2022

ARTISET 01/02 I 2022  45 Aktuell Anders als in vielen anderen Ländern sind in der Schweiz Körperstrafen in der Erziehung noch immer nicht verboten. Dies kritisiert der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes. Und für den Kinderrechtsexperten Andreas Jud* ist dies schlicht unverständlich. Im Gespräch analysiert er die Empfehlungen des Ausschusses zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Interview: Elisabeth Seifert «Körperstrafen gehören gesetzlich verboten» Herr Jud, im Herbst hat der UN-Kinderrechtsausschuss seine Emp- fehlungen an die Schweiz verab- schiedet. Zum dritten Mal, seit die Schweiz im Jahr 1997 der UN-Kinderrechtskonvention beigetre- ten ist. Ist der UN-Ausschuss heute zufriedener als damals? Es gibt Fortschritte. Aufgefallen ist mir zum Beispiel gegenüber den vorherigen Berichtszyklen, dass die fehlende Parti- zipation der Kinder und Jugendlichen diesmal kaum ein Thema ist. Daraus lässt sich schliessen, dass sich die Situa- tion verbessert hat. Andere Kritik, etwa im Bereich der Datenerfassung, bleibt nahezu identisch. Inwiefern hat sich die Partizipation verbessert? Verbessert hat sich vor allem die Sensi- bilisierung für das Thema. Einen guten Einblick habe ich in den Bereich des Kin- desschutzes. In den Verfahren der Behör- den, also wenn es etwa um Fremdplat- zierungen geht, werden die Bedürfnisse der betroffenen Kinder und Jugendlichen heute besser berücksichtigt, allerdings noch lange nicht überall genug. Auch in- nerhalb der Institutionen ist man heute mehr sensibilisiert. Weniger gut überbli- cke ich den Asylbereich oder den Bereich Kinder- und Jugendpolitik. Wie verorten Sie die Schweiz im in- ternationalen Kontext bezüglich der Einhaltung der UN-Kinderrechts- konvention? Ich überblicke vor allem die Situation in den umliegenden Ländern. Die Kritik des Ausschusses liest sich dort ähnlich. Anders als viele andere Länder aber hat es die Schweiz noch immer nicht geschafft, im Gesetz den Einsatz von Körperstrafen in der Erziehung zu verbieten. Gerade bei der Schweiz, einem reichen und in vielen Bereichen fortschrittlichen Land, kann ich das nicht verstehen. Welche Länder sind hier weiter? Deutschland und auch Österreich ken- nen solche Verbote schon seit rund zwei respektive drei Jahrzehnten. In Schweden geht ein entsprechendes Verbot gar in die 70er-Jahre zurück. Auch Frankreich hat in der Zwischenzeit nachgezogen. Auch in der Schweiz sind wir uns als Gesell- schaft einig, dass Körperstrafen in der Erziehung keinen Platz haben. Es wird aber von politischer Seite immer wieder argumentiert, dass man nicht ein neues Gesetz will. Genügt nicht tatsächlich der ge- sellschaftliche Konsens, auf solche Körperstrafen zu verzichten? Ein solches Gesetz hätte einen Appellcha- rakter. Man bringt damit explizit zum Ausdruck, dass es sich beim Verbot von Körperstrafen um einen Wert handelt, den die Schweiz auch wirklich umsetzen will. Klar, auch ein solches Gesetz wird nicht alle Körperstrafen verhindern. Es gibt auch ländervergleichende Studien, die die Wirkung solcher Gesetze belegen. Diese Studien zeigen signifikante Unter- schiede in der Häufigkeit der Anwendung von Körperstrafen in Abhängigkeit ➞

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