ARTISET Magazin | 1-2 2022

ARTISET 01/02 I 2022  49 zu verirren oder bei der Rückkehr ihren Mann nicht zuhause anzutreffen. Das Ehepaar Reymond hat sein Le­ ben neu organisiert. Seit einem Jahr kommt Raphael zu ihnen, um sich um Catherine zu kümmern. Raphael ist eine Fachkraft von Alzami, einem von Alzheimer Vaud ins Leben gerufe­ ner Begleitdienst. Auf dem Programm stehen dann Spaziergänge, Museums­ besuche, Zugreisen und verschiedenste Ausflüge. Bei schlechtem Wetter blei­ ben die beiden zuhause und singen gemeinsam. Die Begeisterung für das Singen hat Catherine ReymondWolfer von ihremVater. Dieser war Musikleh­ rer und Gründer des Conservatoire de Morges. Die beiden passen gut zusam­ men, denn auch Raphael singt gern. Er ist Mitglied eines gemischten kor­ sischen Chors. Freude am Leben Catherine Reymond Wolfer liebt ihr Leben und geniesst es. «Dank meiner Familie und meinen Freunden habe ich Freude am Leben.» Ihre Augen leuch­ ten, wenn sie über die «Ya-Ya» spricht, eine Gruppe von vier Freundinnen, die sich als Zwanzigjährige während ihrer Lehrerinnenausbildung kennengelernt hatten. Sie sind einander stets verbun­ den geblieben. Das Quartett trifft sich regelmässig für gemeinsame Essen, Wochenenden oder Ferien in der fran­ zösischen Region Vendée. «Pflegender Angehöriger zu sein, ist schwer…», sagt Catherine Reymond Wolfer nachdenklich. Ihr ist bewusst, dass sich ihr Mann gut um sie küm­ mert – auch wenn er nicht immer die richtigen Worte finde. Deswegen seien Freunde und Sozialkontakte so wert­ voll. Sie täten nicht nur ihr gut, sondern würden auch ihm helfen. «Manchmal fühle ich mich einsam, das ist nicht immer einfach», sagt Erwin Wolfer. Spontane Unterstützungsangebote nimmt er gerne an – wie Anfang Janu­ ar dieses Jahres, als eine Freundin des Paars einen Neujahrsgruss schickte und spontan ihre Hilfe anbot. «Wenn ich etwas vorhabe, das ich mit Catherine nicht machen kann, werde ich sie si­ cher anrufen», sagt Erwin Wolfer. «Ein solches Hilfsangebot entlastet mich.» Dann kann er sich in seinen Minibus setzen und einen oder zwei Tage ver­ reisen, um mit dem Gleitschirm zu fliegen oder zu segeln – Aktivitäten, die er schon immer gepflegt hat und die ihm bis heute viel Freude bereiten. Letzten Herbst reiste er zwei Wochen nach Korsika, um Freunde zu besuchen und sich zu erholen. In dieser Zeit ha­ ben sich Angehörige abwechselnd um seine Frau gekümmert. Für ihn war das eine grosse Beruhigung. Kein einfacher Alltag «Der Alltag ist nicht immer einfach. Manchmal belastet mich die Situation. Aber es ist wichtig, dass Catherine wei­ terhin hier leben kann. Ich tue alles, um ihr dies zu ermöglichen. Sie liebt ihr Zuhause.» Erwin Wolfer kümmert sich um das Haus, die Küche und den Haushalt. Die Einkäufe erledigen sie gemeinsam mit dem Hund Pablo. Oder sie nehmen den Rucksack, wan­ dern bis zum Seeufer hinunter und nehmen dann bei der Rückkehr die Seilbahn. Manchmal fahren sie bis zum Mont-Pèlerin hinauf. «Catherine kann nicht mehr allein sein. Das ist jetzt ein­ fach so.» Derzeit geht das Ehepaar mit der Idee schwanger, eine Person anzustel­ len, die im Loft im obersten Stock des Hauses wohnen könnte. «Aber ich suche sie aus», erklärt Catherine Reymond Wolfer in einem Ton, der keinen Widerspruch zulässt. «Ich will diese Person vorher sehen. Die Chemie muss stimmen.» Das Paar hat viel Humor, und kleine Zänkereien sind schnell vorbei. «Der Humor hilft uns, positiv zu bleiben. Und mit einer guten Portion Optimis­ mus ist das Leben viel schöner», sagt Erwin Wolfer. «Du hast das Glück, hier zu leben, und ich habe das Glück, mit einer Frau wie dir zusammen zu sein. Vor 31 Jahren haben wir einander versprochen, zusammenzubleiben, in guten und in schlechten Tagen», sagt er ihr mit einem zärtlichem Blick. Ehepaar Wolfer: «Das ist jetzt einfach so.» Foto: Privat

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