Herausforderndes Verhalten – wie reagieren | Magazin ARTISET | 10-11 2024

ARTISET 10/11 I 2024 11 Antipsychotika werden also öfter verabreicht, als dies angezeigt wäre? Zúñiga: Es gibt Situationen, in denen Antipsychotika vorübergehend gut sind. Und zwar in Extremsituationen, in denen jemand sich selbst oder andere gefährdet. Bis man herausgefunden hat, wie man mit einer solchen Situation umgehen soll, können Antipsychotika vorübergehend Sinn machen. Dann muss man diese aber auch wieder absetzen. Aber ja, wenn man die Antipsychotika-Rate in der Schweiz anschaut, dann ist diese hoch. Wir haben hier ein Thema, die Heime können dieses aber nicht allein angehen. Benkert: Um Antipsychotika reduzieren zu können, ist die Pflege ganz besonders auf Ärztinnen und Ärzte angewiesen, die das nötige Wissen darüber haben, welche Antipsychotika in welchen Situationen eingesetzt werden können und welche nicht. Wir stellen fest, dass oft das Hausarztsystem ein Problem darstellt und dass weniger Antipsychotika zum Einsatz kommen, wenn ein Heim Zugang hat zu Heimärztinnen und Heimärzten, die ein vertieftes geriatrisches Wissen mitbringen. Wichtig ist auch der Zugang zu spezialisierten Ärzten und Ärztinnen der Geriatrie, der Gerontopsychiatrie. Wo liegt die Problematik des Einsatzes von Antipsychotika? Zúñiga: Antipsychotika erhöhen die Mortalität der Bewohnenden, sie erhöhen auch das Risiko für cerebrovaskuläre Ereignisse, etwa Hirnschlag, Pneumonie und Stürze. Und zudem: Antipsychotika haben einen starken Effekt auf die Psyche, sie verändern das Denken, und der kognitive Abbau wird verstärkt. Benkert: Aus diesen Gründen wird in den Richtlinien die Verabreichung sehr genau definiert. Es braucht unter anderem eine gesicherte und differenzierte Diagnostik. Und zudem, wie wir bereits gesagt haben, dürfen diese Medikamente erst dann eingesetzt werden, wenn alle nicht-medikamentösen Massnahmen nichts nützen. Und ganz wichtig ist es auch, die Verabreichung zu evaluieren und die Medikamente wieder abzusetzen. Was ist zu tun? Zúñiga: Auf der politischen Ebene könnte man sich überlegen, Anreizsysteme einführen, um die Antipsychotika-Rate zu reduzieren. Dies würde beinhalten, dass man zunächst einmal überhaupt misst, wie viele Antipsychotika verabreicht werden. Gewisse Kantone, zum Beispiel Basel-Stadt und Freiburg, machen das bereits. Hat eine solche Messung dann zur Folge, dass mehr Ressourcen gesprochen werden? Zúñiga: Mit einer solchen Messung schafft man zunächst Transparenz als Basis für Anreize. Die Kantone könnten dann Zuschläge zusprechen für Abteilungen, die sich auf Menschen mit Demenz und BPSD konzentrieren und dies belegen können. Die Kantone könnten also etwas unternehmen, damit Menschen mit Demenz die Betreuung bekommen, die sie brauchen. Und zudem müssen wir den Zugang zur Fachexpertise verbessern. Benkert: Die Finanzierung ist gerade auch in der Betreuung von Menschen mit Demenz ein grosses Thema. Sie hat einen direkten Einfluss auf den Stellenschlüssel und auch darauf, ob ein Heim einen Fachexperten oder eine Fachexpertin anstellen kann. Es braucht einen verbesserten Zugang zur Fachexpertise, besonders zu einem spezialisierten Heimarzt oder einer Heimärztin. Wie wird das möglich? Zúñiga: Neben der Finanzierung besteht ein weiteres Problem darin, dass der Fachkräftemangel auch die Gerontopsychiatrie betrifft. Auf diesem Gebiet fehlt der Nachwuchs. Wir müssen zum einen dafür sorgen, «Um Antipsychotika reduzieren zu können, ist die Pflege ganz besonders auf Ärztinnen und Ärzte angewiesen, die das nötige Wissen darüber haben, welche Antipsychotika in welchen Situationen eingesetzt werden können und welche nicht.» Brigitte Benkert Im Fokus

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