ARTISET 10/11 I 2024 13 dass es wieder vermehrt entsprechende Fachärztinnen und Fachärzte gibt. Und zum anderen müssen wir regionale Netzwerke schaffen, die einen Zugang zur Gerontopsychiatrie ermöglichen. Solche regionalen Organisationen könnten die Kantone an die Hand nehmen, eventuell in Zusammenarbeit mit Kantonalverbänden. Um die Pflegeheime zu unterstützen, überarbeiten Sie derzeit gemeinsam mit dem Branchenverband Curaviva einen Leitfaden, der den Pflegenden vor Ort helfen soll, herausforderndem Verhalten zu begegnen. Was gibt es hier für Möglichkeiten? Zúñiga: Wie ich bereits erwähnt habe, werden wir in diesem Leitfaden aufzeigen, wie wichtig ein strukturiertes Vorgehen ist, um eine Situation zuerst zu analysieren und dann die zielführenden Massnahmen zu definieren. Zum Beispiel mit dem genannten Instrument «Serial Trial Intervention». Zudem wollen wir ansprechen, dass der Umgang mit BPSD ein interprofessionelles Thema ist. Die Pflegenden haben eine wichtige Rolle. Je nach Situation braucht es eine zusätzliche Fachexpertise, den Zugang zu einer Pflegeexpertin zum Beispiel oder zu einem Gerontopsychiater. Weiter ist entscheidend, dass die Behandlung von BPSD-Symptomen eingebettet ist in eine personenzentrierte Pflege. Weshalb ist eine solche personenzentrierte Pflege und Betreuung gerade bei Menschen mit Demenz so wichtig? Zúñiga: Personenzentriertheit hat neben einem bestimmten Fachwissen vor allem mit einer Grundhaltung zu tun. Man geht dann davon aus, dass ein Mensch mit Demenz, der mich schlägt, mir nicht einfach etwas Böses tun will. Sondern ich weiss, dass es einen bestimmten Auslöser für sein Verhalten gibt. Personenzentriertheit heisst, dass ich interessiert bin an der Person und seiner Geschichte. Ich möchte herausfinden, was ihn oder sie beschäftigt. Und aus dieser Grundhaltung heraus eröffnen sich mir Handlungsmöglichkeiten. Benkert: Es geht darum, einen Menschen mit Demenz als Person ernst zu nehmen, sie zu schätzen und ihr auf Augenhöhe zu begegnen. Im Umgang mit Menschen mit Demenz ist eine besonders wertschätzende Art der Kommunikation erforderlich, geeignet ist hier die Anwendung der Validation. Die Haltung und der Blickwinkel der Pflegenden verändern sich, wenn die Methode der Validation angewendet wird. Der Blick richtet sich auf die Persönlichkeit und ihre Ressourcen und ist weniger auf bestimmte Symptome und Defizite fokussiert. Die Pflegenden erkennen Bedürfnisse besser und können entsprechend handeln. Welche Rolle spielen neben einer personenzentrierten Pflege auch nicht-pharmakologische Therapien? Benkert: Mit solchen Therapien lassen sich Emotionen regulieren. Musik hören, musizieren und sich zur Musik bewegen können Angebote sein, die helfen. Auf Demenzabteilungen hat man auch festgestellt, dass das gemeinsame Singen positive Gefühle auslöst. Erfahrungen und auch Studien belegen weiter den Wert der Aromapflege: Orange wirkt etwa schlaffördernd und Lavendel beruhigend. Im Leitfaden, den wir derzeit überarbeiten, kommen verschiedene solcher Therapien zur Sprache. Solche Therapien lassen sich gut im Alltag einbauen, ohne dass man dafür Therapeuten von aussen ins Haus holen muss. Zúñiga: Wenn man dann doch zum Schluss kommt, dass man zumindest vorübergehend Antipsychotika einsetzen muss, gilt es, gewisse Grundregeln einzuhalten. Der Leitfaden wird auch hierzu Empfehlungen abgeben. Dazu gehört etwa, dass man die Medikamente langsam erhöht, aber immer bei einer möglichst tiefen Dosis bleibt. Zudem braucht es eine regelmässige Evaluation und es muss immer das Ziel sein, die Medikamente möglichst schnell wieder abzusetzen. * Franziska Zúñiga, Prof. Dr., leitet den Bereich Lehre am Institut für Pflegewissenschaft der Medizinischen Fakultät der Universität Basel. Brigitte Benkert, MScN in Pflegewissenschaft, ist Projektmitarbeitende am Institut für Pflegewissenschaft. In Zusammenarbeit mit dem Branchenverband Curaviva erarbeitet das Institut für Pflegewissenschaft einen Leitfaden für Pflegeheime im Umgang mit herausforderndem Verhalten von Menschen mit Demenz. Der Leitfaden wird voraussichtlich im Frühling publiziert. BEHAVIORALE UND PSYCHISCHE SYMPTOME DER DEMENZ – DAS BUCH Das im September publizierte Manual «Behaviorale und psychische Symptome der Demenz (BPSD)» bietet einen umfassenden Einblick in die evidenzbasierten Interventionsmöglichkeiten für eine hochkomplexe und vulnerable Patientengruppe. Es dient als wertvolles Instrument für Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen, um den aktuellen Stand der Behandlung von Verhaltens- und psychischen Symptomen bei Demenz darzustellen und die interprofessionelle Zusammenarbeit zu fördern sowie die Versorgung älterer Menschen mit psychischen Erkrankungen zu verbessern. Egemen Savaskan, Dan Georgescu, Franziska Zúñiga (Hrsg.), Behaviorale und psychische Symptome der Demenz (BPSD). Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie. Hogrefe, 1. Aufl. 2024, 272 Seiten, 58.50 Franken Im Fokus
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