ARTISET 10/11 I 2024 17 Im Fokus Langjährige Anstellungsverhältnisse, sich wiederholende Strukturen und Personal, das sich an die definierten Prozesse hält. Das sind entscheidende Faktoren, damit sich Menschen mit Behinderung in einer Institution wohlfühlen können. Die Autorinnen des Beitrags, die eine breite Erfahrung als Betreuungspersonen haben, erklären, weshalb das so ist. Von Rahel Huber und Angelika Voigt* Sich gegenseitig lesen und deuten Wenn man sich über die Frage Gedanken macht, was gutes Betreuungspersonal in der täglichen Arbeit auszeichnet, lässt sich das nur über die Antwort auf die Frage klären, was ein gutes Leben von Menschen mit Behinderung ausmacht. Während wir bei vielen Menschen die Antwort auf eine solch umfassende Frage erfragen können, ist dies namentlich bei Menschen mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen kaum möglich. Dies löst immer wieder eine aufwendige Suche nach der «richtigen Antwort» aus und damit auch eine Suche nach dem «richtigen Konzept» und dem «richtigen Stellenbeschrieb». Menschen mit Behinderungen haben vielfältige und individuelle Bedürfnisse, die sich je nach Art und Schwere der Behinderung stark unterscheiden. Insbesondere bei Menschen mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen sind für den Erfolg der täglichen Arbeit tragfähige Beziehungen von grosser Bedeutung. Um das Gegenüber verstehen zu können, ist dabei vor allem auch entscheidend, dass eine Beziehung über viele Jahre hinweg Bestand hat. Das Recht auf individuelle Kommunikation In der Praxis treffen wir immer wieder auf Menschen, deren verbale Sprache schwer verständlich, nicht objekt oder realitätsbezogen oder gar nicht vorhanden ist. Um unter diesen Bedingungen gemeinsam erfolgreich kommunizieren zu können, muss man in der Lage sein, sich gegenseitig zu lesen und zu deuten. Diese Kompetenz der Mitarbeitenden entsteht einerseits im gemeinsamen «Unterwegssein» und andererseits im Austausch mit anderen an der Begleitung beteiligten Menschen. Mimik, Gesten, aber auch verbale Äusserungen, die nicht eindeutig zu verstehen sind, können im Alltag ein Eskalationspotenzial entwickeln, das man im Anschluss mit agogischen Massnahmen zu beeinflussen versucht. Solche Massnahmen wären hingegen nicht nötig, hätte man sich von Anfang an richtig verstanden. Die ideale Kommunikationsperson ist in diesem Sinne oftmals auch eine langjährige Mitarbeitende, welche die Klientel und deren Sprache sehr gut kennt. So kann aus einem langen «Schhhhhh» der begehrte Kaffee werden und aus dem Kopfschütteln ein Hinweis auf die Reitstunden und das Lieblingspferd. Dieses Verstehen ist oft die Voraussetzung, um Menschen mit schweren kognitiven Behinderungen ein gutes Leben zu ermöglichen, ein Leben, das Vorlieben und Wünsche der betreuten Personen in den Mittelpunkt stellt, Entwicklung möglich macht und deren Ressourcen und Fähigkeiten für sie sinnstiftend im Alltag integriert. Es schafft die Voraussetzung, um die Betreuung individuell und lebensqualitätsorientiert zu gestalten. Gleichzeitig schafft es die Grundlage, auf der Empathie und Verständnis für die Verhaltensweisen des Gegenübers gründen. Herausfordernde Verhaltensweisen können unter diesen Bedingungen
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