ARTISET 10/11 I 2024 23 Im Fokus Frau Haupt, wie ist es für Sie, eine Tochter mit schweren Behinderungen zu haben? Tania ist nun 40 Jahre alt, wir haben zusammen schon viel erlebt, ich kenne es nicht anders. Ich freue mich jedes Mal, wenn sie nach Hause kommt. Seit meiner Pensionierung kann ich die Zeit mit ihr noch mehr geniessen, da ich nun mehr Freiraum habe. Ich habe von Tania gelernt, mich an den kleinen Dingen des Lebens zu erfreuen, und bin dankbarer geworden. Ein grosser Einschnitt war der unerwartete Tod meines Mannes vor einigen Jahren, denn seither muss ich wichtige Entscheidungen alleine treffen. Zum Glück kann ich auf die Hilfe von verschiedenen Seiten zählen, vor allem von meiner zweiten Tochter. Trotzdem macht mir die Zukunft manchmal Sorgen, weil ich nicht weiss, wie lange ich die Kraft haben werde, Tania zu mir nach Hause zu nehmen, und was passiert, wenn ich mich nicht mehr um sie kümmern kann. Wie sieht die aktuelle Betreuungssituation Ihrer Tochter aus? Tania ist alle zwei Wochenenden und während der Ferien bei mir. Die restliche Zeit wohnt sie in der Stiftung Brühlgut, wo sie seit 22 Jahren in derselben Wohngruppe lebt. In Kürze wechselt sie in eine spezialisierte Wohngruppe für Menschen mit erhöhtem Betreuungsaufwand ins neue Marianne Haupts* Tochter Tania ist auf viel Betreuung angewiesen. Tania lebt seit Langem in der Stiftung Brühlgut in Winterthur und zieht dort bald ins neu gebaute Wohnhaus. Im Kurzinterview erzählt Marianne Haupt von ihrer Situation und den Erfahrungen mit ihrer Tochter. Interview: Salomé Zimmermann Wohnhaus Wyden. Tania brauchte schon immer eine Eins-zu-eins-Betreuung, daran wird sich nichts ändern. In der neuen Wohngruppe hat sie nun auch die Möglichkeit, sich draussen in einem abgeschlossenen Garten frei aufzuhalten. Wie schauen Sie dem Umzug Ihrer Tochter entgegen? Veränderungen sind ein grosser Stressfaktor für Tania. Ich kann deshalb die Auswirkungen dieses Umzugs und der veränderten Rahmenbedingungen auf sie und ihr Verhalten nicht abschätzen. Ich hoffe jedoch, dass sie dort noch gezielter betreut werden und sich noch selbständiger bewegen kann. Wie sieht die Geschichte der Betreuung von Tania aus? Als Kind war Tania in der Tagesschule «Stiftung Kind und Autismus» in Urdorf. Sie wurde am Morgen abgeholt und am Abend wieder nach Hause gebracht. So konnte sie die Kindheit auch zu Hause verbringen. Zur Entlastung konnte sie teilweise auch ein Wochenende in dieser Schule verbringen. Als Tania volljährig wurde und ich für sie ein Wohnheim suchte, musste ich fast hundert Heime anfragen – doch keines davon hatte Platz für schwerstbehinderte Menschen wie sie. In der Zeit dieser Suche war Tania immer zu Hause, was für meinen Mann und mich eine enorme Herausforderung darstellte. Damals hätten wir uns mehr Hilfe und Unterstützung gewünscht. Die Stiftung Brühlgut war die einzige Einrichtung, die bereit war, Tania aufzunehmen – dafür bin ich dankbar. Ich bin auch froh, dass die Stiftung nicht zu weit weg von unserem Wohnort liegt. Natürlich gab es immer wieder Situationen, in denen wir unterschiedlicher Ansicht waren – aber das gehört meiner Meinung nach dazu. Woher schöpfen Sie die Kraft, sich um Ihre Tochter und um sich selbst zu kümmern? Ich bin ein positiver Mensch und nehme die Dinge so an, wie sie sind – und ich suche stets nach den schönen Momenten. Tania hat mich Bescheidenheit gelehrt. Mit der aktuellen Situation bin ich zufrieden – es gibt viele gute Augenblicke. Besonders dankbar bin ich meinem Umfeld für die grosse Unterstützung und Akzeptanz, die ich erfahre. * Marianne Haupt ist die Mutter von Tania, die bald in den Neubau der Stiftung Brühlgut einzieht.
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