30 ARTISET 10/11 I 2024 Verändert sich die Pflegelandschaft durch die einheitliche Finanzierung? Höchli: Die einheitliche Finanzierung schafft Kostentransparenz. Man sieht dann etwa, wann die Pflege zu Hause eben doch teurer wird, zum Beispiel aufgrund der Wegkosten. Mit der einheitlichen Finanzierung werden die Kostenvorteile des betreuten Wohnens noch verstärkt: Aufgrund geringerer Wegkosten bestehen Vorteile gegenüber der ambulanten Pflege. Und aufgrund geringerer Infrastrukturkosten gibt es Vorteile gegenüber der stationären Langzeitpflege. Eine Stärkung des betreuten Wohnens ist dabei im Interesse der Bevölkerung: Diese Wohnform ermöglicht Sicherheit und gleichzeitig Autonomie. Pfister: Mit der einheitlichen Finanzierung wird es zu mehr ambulanten Operationen kommen, womit die nachbehandelnde Pflege zu Hause weiter zunehmen wird. Und zwar auch bei den Klientinnen und Klienten, die unter 65 Jahre alt sind. Die Pflege zu Hause ist kostengünstiger als im Spital, weil zu Hause die teuren Infrastrukturkosten wegfallen. Beim Entscheid, wo jemand behandelt oder gepflegt werden soll, muss indes immer auch das Wohl des Patienten oder der Patientin berücksichtigt werden. Wird die einheitliche Finanzierung also zu tieferen Gesundheitskosten führen? Höchli: Wir haben im medizinischen Bereich ein grosses Einsparpotenzial. In der Schweiz liegt der Anteil an ambulanten operativen Eingriffen, die günstiger sind als im Spital, bei ungefähr 20 Prozent. In Dänemark oder Schweden liegt der Anteil bei zirka 50 Prozent. Mit der einheitlichen Finanzierung wird der Anteil an ambulanten Operationen steigen, was für alle Akteure zu einer Kostenminderung führt. Ohne diese Reform führt die Verschiebung von stationären zu ambulanten Eingriffen dazu, dass die Kantone stark entlastet werden, die Prämienzahlenden hingegen zusätzliche Kosten übernehmen müssen Das Einsparpotenzial wird vorsichtig auf bis zu 440 Millionen Franken pro Jahr geschätzt. Die Gegner, allen voran die Gewerkschaft VPOD, die das Referendum ergriffen hat, prognostizieren aber einen Anstieg der Prämien. Was stimmt jetzt? Höchli: Im medizinischen Bereich haben wir heute schon eine Verlagerung von stationär zu ambulant, was die Prämien im aktuellen Finanzierungssystem erhöht. In der Pflege hat der Bundesrat den Krankenkassenanteil gedeckelt, dafür steigen die Kosten für Kanton und Gemeinden, also der steuerfinanzierte Anteil. Mit der Integration der Pflege in die einheitliche Finanzierung haben wir zwei gegenläufige Effekte auf die Prämien: DIE EINHEITLICHE FINANZIERUNG AMBULANTER UND STATIONÄRER LEISTUNGEN Heute werden ambulante Leistungen ausschliesslich von den Krankenversicherern finanziert. Bei den stationären Leistungen tragen hingegen die Kantone – und damit die Steuerpflichtigen – 55 Prozent der Kosten und die Versicherer – und damit die Versicherten – die verbleibenden 45 Prozent. Eine Sonderregelung gilt für Pflegeleistungen in Alters- und Pflegeheimen und zu Hause: Für sie leisten die Versicherer sowie die Klientinnen und Klienten begrenzte Kostenbeiträge, und die Kantone und/oder Gemeinden sind für die Restfinanzierung zuständig. Mit der einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen werden diese drei Finanzierungssysteme durch ein einziges ersetzt: Alle Leistungen der Krankenversicherung werden neu mit demselben Verteilschlüssel finanziert: Mindestens 26,9 Prozent der Nettokosten tragen immer die Kantone und höchstens 73,1 Prozent die Versicherer. Für Pflegeleistungen entrichten die Patientinnen und Patienten weiterhin einen begrenzten, vom Bundesrat festgelegten Kostenbeitrag. Im Dezember 2023 wurde die Vorlage, die auf einer parlamentarischen Initiative aus dem Jahr 2009 basiert, vom Parlament verabschiedet. Gemäss Fahrplan startet die einheitliche Finanzierung 2028 im Akutbereich. Ab 2032 gilt die neue Finanzierung dann auch für die Pflege. Die Gewerkschaft VPOD ergriff das Referendum, weswegen nun das Stimmvolk über die einheitliche Finanzierung entscheidet – am 24. November 2024. «Mit der einheitlichen Finanzierung stehen die Menschen mit ihrem Versorgungsbedarf im Zentrum und werden dort gepflegt und behandelt, wo es am besten für sie ist.» Marianne Pfister, Co-Geschäftsführerin Spitex Schweiz
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