ARTISET 10/11 I 2024 33 Aktuell Eine Sozialpädagogin, die in einem Heim für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung arbeitet, erzählt folgende eindrückliche Geschichte: «Ein älterer Herr mit kognitiver Beeinträchtigung, nennen wir ihn Michael B., litt an Speiseröhrenkrebs. 27 Bestrahlungen und fünf Chemotherapien konnten das Krebsgeschehen über mehrere Monate stabilisieren. Bald nahmen die Beschwerden jedoch zu, und man stellte Metastasen in seinem Körper fest. Wie sollte es nun weitergehen? Es wurde klar, dass das Leiden für Michael B. bei einer weiteren Therapie gross wäre. Er hat sich nach Gesprächen mit dem Onkologen schliesslich gegen weitere lebensverlängernde Massnahmen entschieden. Die weitere Begleitung wurde auf das Schmerzmanagement ausgerichtet. Michael B. erstellte eine Bucketlist mit letzten Wünschen. Ab diesem Zeitpunkt haben wir die palliative Pflege noch intensiver umgesetzt, und die Bezugsperson unterstützte ihn bei der Umsetzung seiner Bucketlist. So gingen wir beispielsweise mit ihm in seinem Lieblingsrestaurant ein Eiscafé essen, und dort am Fluss konnte er einen Stumpen rauchen. Sein Zustand verschlechterte sich jedoch zusehends. Zur Linderung seines physischen Leidens kam eine Morphinpumpe zum Einsatz. Der Mobile Palliative Care Dienst leistete hier professionelle und lehrreiche Begleitarbeit. Ein paar Wochen später verschlechterte sich sein Zustand markant. Michael B. realisierte klar, dass er unheilbar krank war. Er sagte pragmatisch ‹es ist halt jetzt so›, äusserte jedoch auch Angst vor dem Alleinsein. Während eine Person Sitzwache leistete, schlief er ruhig für immer ein. Die Trauerfeier, welche in der Institution stattfand, wurde durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen der Bezugsperson, dem WG-Team und der Seelsorgerin würdig und im Sinn von Michael B. gestaltet. So durften alle Mitbewohnenden, Mitarbeitenden und Angehörige auf eine wunderbare Art Abschied nehmen. Die Bezugsperson fragte sich oft, ob das Setting einer Betreuungs-WG dem nun palliativen Zustand von Herrn B. noch gerecht werden konnte. Dank der Zusammenarbeit mit der Heimärztin und dem Mobilen Palliative Care Dienst konnte jedoch ein stimmiges Setting zur Förderung der Lebensqualität von Michael B. geschaffen werden. Erschwerter Zugang zu Palliative Care Erhebungen in verschiedenen Kantonen der Schweiz zeigen insbesondere in der stationären Langzeitbetreuung eine deutliche prozentuale Zunahme von Personen ab 55 Jahren mit kognitiven und/oder physischen oder psychischen Beeinträchtigungen. Damit einher gehen die steigende Prävalenz von chronischen und altersbedingten Erkrankungen und der Bedarf an Palliative Care. Unter Palliative Menschen mit Beeinträchtigungen bis zum Tod begleiten Studien zeigen, dass die Palliative-Care-Versorgung von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung schwerwiegende Lücken aufweist. Die Fachgruppe Pflege Palliative Care (palliative ch) setzt sich für die Verbesserung der Palliative Care für Menschen mit Beeinträchtigungen ein und möchte in einem ersten Schritt relevante Akteure identifizieren und sensibilisieren. Von Daniela Bernhardsgrütter, Katharina Linsi, Katja Leiggener, Nisha Andres* »
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