34 ARTISET 10/11 I 2024 Care versteht man alle Massnahmen, die das Leiden eines unheilbar kranken Menschen lindern und ihm so eine bestmögliche Lebensqualität bis zum Ende verschaffen. Das einleitende Fallbeispiel zeigt vorbildlich auf, wie Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung mit entsprechender Unterstützung bis zum Tod im vertrauten Wohnumfeld begleitet werden können. Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung weisen komplexe Palliative-Care-Bedürfnisse auf körperlicher, psychosozialer, spiritueller, informations- und kommunikationsbezogener Ebene auf und benötigen deshalb eine professionelle Begleitung. Nationale und internationale Studien zeigen jedoch, dass die Palliative-Care-Versorgung dieser Personengruppe nach wie vor schwerwiegende Lücken aufweist. Vorhandene Leitlinien und Handlungsanweisungen zur Verbesserung von Palliative Care für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung basieren auf Theorien, auf Meinungen von Expertinnen und Experten sowie auf Fallberichten. Die Perspektive von Betroffenen und Angehörigen bleibt oftmals unberücksichtigt. Eine Studie aus dem Vereinigten Königreich zeigt, dass diese Menschen am Lebensende weniger Zugang zu spezialisierter Palliative Care haben und weniger Opioide zur Schmerzlinderung bekommen als Menschen ohne Beeinträchtigung. Problematisch erscheint der erschwerte Zugang zu Palliative Care insbesondere bei der Betrachtung des 2008 in Kraft getretenen Übereinkommens der UNO über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Fehlende Leitlinien in Wohnheimen Der Bericht «Palliative Care für vulnerable Patientengruppen» (Amstad, 2020), der im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) erstellt wurde, zeigt auch hierzulande eindrücklich die Handlungsfelder und Lücken in der allgemeinen und spezialisierten Palliative Care auf. Der Bericht bezieht sich unter anderem auf die Ergebnisse einer schweizweiten Untersuchung zur Palliativ-Versorgung bei Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung (Wicki & Meier, 2015). Gemäss den Ergebnissen dieser Untersuchung liegt das durchschnittliche Sterbealter von Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung in der Schweiz bei rund 57 Jahren. Damit sterben diese Menschen rund 25 Jahre früher als Personen, die die allgemeine Bevölkerung vertreten. Die Autorinnen und Autoren schliessen daraus, dass Palliative Care bei dieser Personengruppe bereits vor dem Erreichen des Pensionsalters ein Thema ist und auch Wohnheime betrifft, in denen Betroffene während des Berufslebens wohnen. Jedoch lagen bei der Mehrheit der Wohnheime keine Leitlinien zu Palliative Care oder Entscheidungen am Lebensende vor. Bei rund einem Drittel aller Wohnheime war zum Zeitpunkt der Befragung keine Begleitung bis zum Lebensende gewährleistet. Bei einem weiteren Drittel aller Wohnheime war eine solche Begleitung nur dann möglich, wenn keine nächtliche Betreuung oder kein hoher Pflegebedarf über längere Zeit nötig war. Was fehlendes Wissen über Palliative Care bedeuten kann, macht folgendes Beispiel einer Sozialpädagogin deutlich: «Frau Margrit S. war schwer kognitiv beeinträchtigt. Und dann bekamen wir die Diagnose, der Darm arbeite nicht mehr gut, wir sollten ihr nicht mehr viel zu essen geben. (…) Und dann ist das etwa drei bis vier Wochen so weitergegangen, bis das Team das Gefühl gehabt hat, Margrit S. erhole sich wieder. Man hat ihr dann auch wieder zu essen gegeben. Und dann ist sie gestorben. Und ich habe sie hergerichtet und auf die Seite drehen müssen, und dann ist (…) so viel Flüssigkeit rausgelaufen. Wir haben ihr als Team einfach zu essen und zu trinken gegeben und sie hat das nicht mehr verarbeiten können. Da hätte man Stopp sagen müssen (…) Wenn es da mehr Pflegefachleute gehabt hätte, hätte man das wahrscheinlich gewusst: Nein, das darf jetzt einfach nicht mehr passieren (…) Das war sehr schwierig für mich. Entwicklung eines Versorgungskonzepts Der Austausch mit Expertinnen und Experten aus der Praxis, der Forschung und mit den Behörden zeigt: In der Schweiz existieren keine institutions- und professionsübergreifende Versorgungskonzepte für die Palliative Care von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Sowohl das hauptsächlich agogische Personal in den Wohnheimen als Weitere Infos zum Projekt: ➞ ost.ch/pal-link Erhebungen zeigen vor allem in der stationären Langzeitbetreuung eine deutliche Zunahme von Personen ab 55 Jahren mit kognitiven Beeinträchtigungen. Damit einher gehen die steigende Prävalenz von altersbedingten Erkrankungen und der Bedarf an Palliative Care. »
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