ARTISET 10/11 I 2024 37 Aktuell werden kann. Nussbaum argumentiert, dass sich die Frage, wie «gut» das Leben einer Person ist, nicht an ihrer Zufriedenheit mit dem Leben ablesen lässt, sondern daran, ob sie realistische Optionen hat, die ihr Leben verändern könnten. Diese Optionen sollten vergleichbar sein mit denen anderer in ähnlichen Lebenssituationen. Die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, ist entscheidend. Wenn jemand keinen Zugang zu realistischen Optionen hat oder Schwierigkeiten beim Entscheiden hat, hat er das Anrecht auf Unterstützung. Nussbaums Konzept lässt sich gut auf Organisationen mit Wohnangeboten anwenden, denn Unterstützung ist das Kerngeschäft von Organisationen. In der ersten Phase des Projekts hat das Forschungsteam verschiedene Organisationen untersucht und dabei unterschiedliche Angebote sowie Bewohnerinnen und Bewohner angetroffen. Es wurden Organisationen auf dem Land und in der Stadt, mit kleinen Wohnungen, Abteilungen oder Wohngruppen betrachtet. Die Forschenden trafen Personen, die gut darüber Auskunft geben konnten, was ihnen im Leben wichtig ist, sowie Menschen, die kaum wissen, wie ähnliche Personen leben. Andere wissen, was sie wollen, haben aber Schwierigkeiten, dies mitzuteilen. Aus diesen Informationen hat das Forschungsteam verschiedene Typen von Bewohnerinnen und Bewohnern gebildet, die für ein «Gutes Leben» auch unterschiedliche Unterstützungsleistungen benötigen. Zwei Aufgaben für das neue Tool Auf dieser Grundlage lassen sich für die Bewertung des «Guten Lebens» in der Organisation zwei Aufgaben für das neue Tool ableiten. Aufgabe 1: Wenn eine Organisation weiss, wie viele Typen von Bewohnenden sie hat, und weiss, ob und in welcher Menge sie Unterstützungsleistungen anbietet, kann sie daraus ableiten, von welchen Unterstützungsleistungen zu viel vorhanden sind und von welchen zu wenig. Und es wird sichtbar, an welchen Stellen in der Organisation die Leistungen ausgerichtet werden müssen. Aufgabe 2: Hier geht es um die Frage der realistischen Optionen, wie eine Person ihr Leben leben könnte. Das Forschungsteam nutzt hierfür Erkenntnisse aus der Milieuforschung. Milieuforschung untersucht, wie unterschiedlich Menschen in bestimmten Umgebungen leben und handeln. Mithilfe von Bildkarten, die verschiedene Lebensstile zeigen (etwa Ferienorte, Interessen, Einrichtungsstil oder Mobilitätsformen), wird das Interesse von ausgewählten Bewohnerinnen und Bewohnern erfragt. Wenn die Organisation gleichzeitig pro Bildkarte angibt, ob eine Person mit Interesse für das Thema auf der Karte in der Organisation auf ihre Kosten kommt, wird im grossen Bild sichtbar, wie gross die Chance für bestimmte Personen ist, ihrem eigenen Lebensstil in der Organisation nachzuleben. Der Prototyp des Tools und die nächsten Schritte Das Forschungsteam hat einen Prototyp des Tools entwickelt, der diese beiden Aufgaben bearbeiten kann. Momentan testen die ersten Organisationen den Prototyp in der zweiten Projektphase. Der Aufwand für die Erfassung ist gering und wird von den Organisationen akzeptiert. Derzeit suchen die FHNW und Artiset nach Organisationen, die den Prototyp testen möchten. Die Teilnahme am Projekt bietet zahlreiche Vorteile. Die Organisation erhalten einen umfassenden Evaluationsbericht, der detaillierte Analysen ihrer Angebote beinhaltet. Sie erfahren, welche Faktoren das «Gute Leben» ihrer jetzigen oder künftigen Bewohnender besonders fördern und wie sich ihre Angebote im Vergleich zu anderen Einrichtungen positionieren. Die Teilnahme am Projekt ermöglicht es der Organisation, die Qualität ihrer Arbeit gezielt weiterzuentwickeln und neue Handlungsmöglichkeiten für ihre strategische Ausrichtung zu finden. Ausserdem erhalten sie ein Fachaudit, bei dem Themen wie Teilhabe, Selbstbestimmung und Normalisierung im Fokus stehen. Je früher sich eine Organisation beteiligt, desto grösser ist ihr Einfluss auf die Entwicklung der Instrumente – und desto geringer der finanzielle Beitrag. Melden Sie sich bei Artiset oder bei der FHNW, wenn Sie weitere Informationen für eine Beteiligung möchten. * Matthias Widmer ist für die Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW am Forschungsprojekt beteiligt. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und bearbeitet Themen wie Selbstbestimmung, Inklusion und Organisationsentwicklung. Wie gut das Leben einer Person ist, lässt sich daran ablesen, ob sie realistische Optionen hat, die ihr Leben verändern könnten.
RkJQdWJsaXNoZXIy MTY2MjQyMg==