42 ARTISET 10/11 I 2024 Hausleitung, über die Pflegeleitung, die Stationsleitung oder eventuell deren Stellvertreterin hin zu den Pflegenden. «Eine Seniorin teilt es heute ihrer Bezugspflegerin mit, wenn sie ihr Bett unbequem findet und über Rückenschmerzen klagt. Diese organisiert direkt bei der Haustechnik eine neue Matratze», schildert Jana Ott einen konkreten Fall. Und Hügel ergänzt: «Heute nehmen Mitarbeitende direkt mit der Haustechnik Kontakt auf. So ersparen wir unnötige Wege und Zeit. Vordem konnte die Pflegeperson nicht selbst entscheiden, sondern musste den Weg über die Stationsleiterin nehmen.» Mitarbeitende der Kita und der Pflege tauschen sich aus Bei der Kita sind es die Eltern, die den grössten Nutzen aus den Änderungen ziehen, wie Cantoro erläutert: «Möchten Eltern heute ihr Kind zusätzlich einen weiteren Tag in die Kita bringen, so entscheidet eine ausgebildete Fachperson des Teams.» Einst musste Cantoro als ehemalige Gruppenleiterin zunächst an ihren Chef gelangen, der ihre Meinung dazu einholte und sie mit einer Lösung beauftragte, die er dann schliesslich bewilligte. «Damals mussten sich die Eltern meistens zwei Tage gedulden, bis sie eine Antwort erhielten, oder noch länger, falls der Chef in den Ferien war, denn eine Stellvertretung gab es damals noch nicht», erinnert sich Cantoro. Kürzere Wege und schnellere Entscheide sind jedoch nicht allein für den Wandel im Arbeitsklima ausschlaggebend. Es sind die Gespräche und die Absprachen untereinander, die bedingen, dass man in der Arbeit näher rückt und so auch erfährt, welche Lösungen und Einteilungen die Kolleginnen und Kollegen vorziehen. Im Generationenhaus hatten Bewohnende und Kinder seit jeher untereinander Austausch, nicht jedoch die Leitungspersonen zwischen Kita und Betreuung sowie Pflege, wie Siegrist sich erinnert: «Zwar haben wir innerhalb der Stationsgruppen untereinander gesprochen und Zeit verbracht, jedoch ausserhalb der Arbeitszeit.» Jetzt aber, wo sie sich untereinander absprechen, ist der Austausch intensiver, sagt Cantoro und präzisiert: «Dies geschieht auch, weil wir manchmal noch Unsicherheiten abklären müssen.» Wurde die Arbeit einst von oben nach unten verteilt, so geschieht dies heute im Gespräch der Gruppenverantwortlichen mit den Mitarbeitenden. «Dann erkundigt man sich», so Cantoro, «wer ausserordentlich kreativ oder gewandt im Elterngespräch ist oder wer lieber Pläne schreibt und sich um das Organisatorische kümmert.» Dasselbe gilt in der Küche, führt Hügel aus: «Sagt jemand, er mache 50 Kilo Spätzle in einer halben Stunde, dann liegt es an ihm, die Beilagen zu machen. Dann einigt man sich im Team, dass er nicht Rindsbraten zubereiten muss.» Stets eine offene Tür statt Qualifikationsgespräch Nicht nur innerhalb der Gruppe kennt man sich heute besser, auch zwischen der Kita sowie der Betreuung und Pflege gibt es Kontakte unter den Mitarbeitenden. So läuft die Kommunikation im Haus oft über den geschützten Gruppenchat von Threema. «So kam es vor», sagt Siegrist, «dass während einer Grippewelle jemand von der Kita den älteren Menschen beim Morgenessen half.» Stellt sich die Frage, ob Dominik Lehmann als Heimleiter in dieser eingespielten Organisation überhaupt noch Führungsaufgaben hat. Einmal pro Monat treffen sich jedoch die leitenden Personen mit Lehmann, wo mögliche Veränderungen oder übergeordnete Probleme mit ihm besprochen werden. Während zurzeit etwa die Vernehmlassung zum Bundesgesetz über die Arbeitsbedingungen in der Pflege mit einer reduzierten Wochenarbeitszeit läuft, hat Lehmann diese gemeinsam mit den anderen Geschäftsleitungsmitgliedern bereits vor einem Jahr eingeführt. Das jährliche Qualifikationsgespräch hat Lehmann gestrichen und durch die offene Tür ersetzt, durch die alle, auch Praktikanten, ihm mitteilen mögen, wo es bei ihnen gut läuft und wo man noch optimieren könnte. Das Fazit von Siegrist: «Hier zu arbeiten, finde ich jetzt sehr befriedigend, weil wir viele Freiheiten innerhalb unseres Verantwortungsbereichs haben.» Und Ott, die vor zwei Jahren als Kita- Berufsbildungsverantwortliche ins Generationenhaus kam und heute Cantoros Stellvertreterin ist, meint: «Wir sind stets nähergerückt. Haben wir Fragen, die wir Kita-intern nicht lösen können, scheuen wir uns nicht davor, eine Pflegekollegin für eine gute Idee anzufragen. Das eigenverantwortliche Arbeiten motiviert und macht Spass.» LUSTVOLLER REGELVERSTOSS Die Organisation im Generationenhaus Neubad verstehen die Leitungspersonen als agiles Netzwerk, wie es ihnen der Managementforscher Hans A. Wüthrich in Workshops näher gebracht hat. Vor seiner Emeritierung lehrte der Professor an der Universität in München. Einen Namen hat sich Wüthrich als Querdenker geschaffen, der herkömmliche Führungsinstrumente radikal hinterfragt. Sein «Plädoyer für die verrückte und experimentelle Führung» veröffentlichte er 2020 unter dem Buchtitel «Capriccio», wobei der Name für einen spielerischen, lustvollen Regelverstoss steht und auch ein launisches, kapriziöses Musikstück bezeichnet. Darin plädiert Wüthrich insbesondere für eine Kultur des Vertrauens, die es erlaubt, Experimente zu wagen und auch auf Zufälliges einzugehen, fern dem Drang zur Perfektion, der dazu führt die besten Ideen zu blockieren. Für die Weiterbildung besuchen die Leitungsverantwortlichen des Generationenhauses Kurse nach «Future Leadership», die von Intrinsify angeboten werden.
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