8 ARTISET 10/11 I 2024 Angehörigen, Hausärzten, Fachleuten aus dem Spital und weiteren involvierte Stellen. Es geht darum, gesundheitlich relevante Informationen zusammenzutragen, aber auch biografische Schlüsselereignisse, Gewohnheiten oder spezielle Befindlichkeiten. «Diese intensiven Vorabklärungen sind die beste Form von Prävention», zeigt sich Raphael Baumgartner überzeugt. Und auch der konstante hausinterne Austausch zwischen Fachkräften und Disziplinen hilft, für Betroffene ein adäquates, auf sie abgestimmtes Umfeld zu schaffen. «Bei uns steht der Mensch und nicht die Krankheit im Vordergrund. Je besser wir eine Person kennen, desto eher lassen sich Stresssituationen und Verhaltensauffälligkeiten vermeiden», ergänzt Harald Klein. «Wir begegnen den Menschen auf Augenhöhe, unabhängig von ihrer Geschichte, ihrem Verhalten oder ihrem sozialökonomischen Status.» Kommunikation, Präsenz, Zusammenarbeit Ein grosses Plus ist auch, dass der Hausarzt direkt vor Ort ist und bei akuten Problemen sich das Pflegepersonal direkt an ihn wenden kann – selbst an Wochenenden und Feiertagen. Das verhindert Eskalationen und Hospitalisationen, die für Betroffene zusätzlichen Stress mit sich bringen. Heimarzt Roman Hauser nennt zwei Rezepte für ein gutes Miteinander auf den Abteilungen: «Präsenz und Kommunikation». Zweimal pro Woche ist der Heimarzt an allen drei Standorten auf den Stationen, bespricht Probleme und passt Medikamente an. Um Eskalationen frühzeitig zu verhindern, setzen die Alters- und Pflegeheime Glarus Nord auf verschiedener Ebene an. Ob in der Cafeteria, im technischen Dienst, der Reinigung, der Administration, der Küche oder in der Pflege: Alle Angestellten durchlaufen nach Stellenantritt einen dreitägigen Grundkurs zum Thema Demenz. Zudem können sämtliche Mitarbeitenden ein Coaching oder eine Supervision in Anspruch nehmen. Denn gerade die Mitarbeitenden haben eine Schlüsselrolle inne. «Menschen mit Demenz merken rasch, wenn eine Betreuungsperson gestresst ist. Deshalb müssen wir als Institution einen Rahmen schaffen, in dem sie ihren Job gut machen können und sich sicher fühlen», betont Raphael Baumgartner. Das beginnt mit sorgfältig erstellten Dienstplänen, die Raum für Erholung gewähren, geht über einen adäquaten Personalschlüssel bis hin zu einer Unternehmenskultur, in der Teamarbeit, Vertrauen und Austausch viel Raum einnehmen. Manchmal hilft es, jemanden aus der Schusslinie zu nehmen oder mit einem Klienten in einer anderen Abteilung bzw. an einem anderen Standort, der besser auf seine Bedürfnisse abgestimmt ist, einen Neustart zu wagen. «Ich bin regelmässig an allen drei Standorten vor Ort, um in Erfahrung zu bringen, wie hoch die Belastung ist und wo es zu Grenzüberschreitungen kommt», so Baumgartner. Und im Notfall ist er auch mitten in der Nacht zur Stelle. Obwohl Mitarbeitende ermutigt werden, Übergriffe und Verhaltensauffälligkeiten seitens der Patienten sofort zu melden, ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. «Gerade Menschen aus anderen Kulturkreisen wagen sich zum Teil nicht, solche Vorfälle zu melden», gibt Baumgartner zu bedenken. Hier gelte es Vertrauen zu schaffen, denn eine sorgfältige Dokumentation von Vorfällen kann helfen, frühzeitig Massnahmen zu treffen. Langzeitpflege bedeutet Beziehungspflege Den vielen strukturellen und konzeptionellen Absicherungen zum Trotz: Manchmal braucht es viel Detektivarbeit, um einem Problem auf die Schliche zu kommen. Und auch das gelingt im Team besser als im Alleingang. Oft liegt der Schlüssel zur Beilegung eines Problems in der Biografie. Wie bei jenem Mann, der immer um 1.30 Uhr in der Nacht aufgebracht am Bett rüttelte – der Zeit, als er früher als Bäcker seine Arbeit aufnahm, wie Nachforschungen ergaben. Als man ihn in aller Früh aufstehen und Wäsche zusammenlegen liess, war das Problem behoben. «Eine Verhaltensauffälligkeit geht häufig auf starke Emotionen aus der Vergangenheit zurück», führt Baumgartner weiter aus. «Es passiert selten etwas völlig grundlos.» Manchmal, so Heimleiter Harald Klein, gelange man hausintern aber auch an Grenzen. Dann werden externe Fachpersonen beigezogen. Und auch die Ideen und Inspirationen der derzeit 26 Lernenden/Studenten, die ihr Knowhow bei verschiedenen Einrichtungen erlangen, kommen dem Alters- und Pflegeheim Glarus Nord zugute. Im Gegensatz zu anderen Institutionen können die Alters- und Pflegeheime Glarus Nord aufgrund der kantonalen Aufnahmepflicht «schwierige» Fälle nicht einfach ablehnen. Harald Klein mag den Terminus ohnehin nicht: «Viele Patienten erhalten den ‹Schwierig-Stempel›. Ich rede lieber von spannenden Patienten. In unserer Institution mögen wir Herausforderungen, das gehört zu unserem Berufsstolz.» «Je besser wir eine Person kennen, desto eher lassen sich Stresssituationen und Verhaltensauffälligkeiten vermeiden. Wir begegnen den Menschen auf Augenhöhe, unabhängig von ihrer Geschichte, ihrem Verhalten oder ihrem sozialökonomischen Status.» Harald Klein, Leiter Alters- und Pflegeheime Glarus Nord
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