ARTISET 10/11 I 2024 9 Im Fokus Menschen mit Demenz zeigen Verhaltensauffälligkeiten, die gerade auch innerhalb eines Pflegeheims sehr belastend sein können. Franziska Zúñiga und Brigitte Benkert, Pflegewissenschaftlerinnen an der Uni Basel*, erörtern die Problematik – und zeigen auf, was die Politik und die Heime unternehmen können, um belastende Situationen möglichst zu reduzieren. Interview: Elisabeth Seifert « Die Person schätzen und ihr auf Augenhöhe begegnen» Frau Zúñiga, Frau Benkert: Herausforderndes Verhalten kommt bei Menschen mit Demenz häufig vor. Warum eigentlich? Franziska Zúñiga: Demenz ist eine chronisch fortschreitende Hirnerkrankung. Es können verschiedene Bereiche im zentralen Nervensystem betroffen sind. Je nach betroffener Hirnregion kann neben den kognitiven Symptomen eine Vielfalt von Begleitsymptomen auftreten. Man spricht hier von den BPSD-Symptomen, den Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia. Können Sie diese Symptome näher erläutern? Zúñiga: Es geht um Symptome im Bereich des Verhaltens und der Psyche. Zu den BPSD-Symptomen auf der Seite des Verhaltens gehören unter anderem Agitation, Aggression, sozialer Rückzug, Apathie, Herumwandern oder sexuelle Enthemmung. Bei den psychologischen Symptomen handelt es sich zum Beispiel um Depression, Euphorie, Angst, Wahn und Halluzinationen. Brigitte Benkert: Man spricht beispielsweise auch von affektiv bedingten BPSD-Symptomen wie Depression, Apathie, Angst, Affektlabilität und Reizbarkeit; von psychotischen Symptomen, wozu Wahn und Halluzination gehören; von psychomotorischen Symptomen, wie Bewegungsdrang, Agitation und Aggressivität; und von Schlafveränderungen, wie der zirkadian bedingten Tag-Nacht-Umkehr, sowie dem Sundowning Syndrom. Etliche dieser Symptome können gerade auch innerhalb eines Pflegeheims zu einer grossen Herausforderung führen. Benkert: Ein Stressfaktor für das Pflegepersonal ist gerade auch die Tag-NachtUmkehr. In der Nacht ist der Personalspiegel tiefer. Die Nachtwachen auf den Stationen können keine Beschäftigung und Eins-zu-eins-Betreuung wie am Tag anbieten. In der Folge löst dies oft aggressives Verhalten aus. Zúñiga: Belastend ist es auch, wenn jemand dauernd ruft oder schreit. Oder wenn jemand sehr unruhig ist, ständig herumwandert und auch in die Zimmer anderer Bewohnenden geht. Auch aggressives Verhalten wie Kneifen, Zwicken oder Schlagen sowie die sexuelle Enthemmung bedeuten eine grosse Herausforderung. Wie oft kommen die BPSD- Symptome vor? Zúñiga: Apathie und Depression kommen am häufigsten vor. Im Vordergrund stehen damit oft gar nicht unbedingt die für ein Heim besonders belastenden Symptome wie das Herumwandern oder Aggressionen. Benkert: Je nach Krankheit und je nach dem Stadium der Krankheit verändern sich die Symptome. Bei einer leichteren Demenz treten weniger Verhaltensauffälligkeiten auf als bei einer mittleren Demenz. Und bei einem ganz schweren Verlauf respektive im Endstadium der Erkrankung tritt zum Beispiel der Bewegungsdrang wiederum in den Hintergrund, im Vordergrund stehen dann oft Depression und Apathie. Was lässt sich gerade bei den für das Pflegepersonal und auch die anderen Bewohnenden besonders belastenden Symptomen unternehmen? Zúñiga: Es ist zunächst sehr wichtig, sich zu fragen, wo die Auslöser für solche Verhaltensweisen liegen. Auslöser für BPSD- Symptome sind einerseits hirnorganisch bedingt und lassen sich nicht beeinflussen. Zum anderen aber sind die Auslöser
RkJQdWJsaXNoZXIy MTY2MjQyMg==