Ethische Fragen stellen | Magazin ARTISET | 10 / 2022

ARTISET 10/11 I 2022  15 «Bund und Kantone müssen sich verbindlich dazu bekennen, dass bei verletzlichen Personen physische Kontakte gewährleistet sind. » Settimio Monteverde, Dozent für Ethik an der Berner Fachhochschule angepassten Verordnung zur Regelung der ausserordentli- chen Lage keine expliziten Regelungen für Institutionen für Menschen mit Unterstützungsbedarf getroffen. Entspre- chende Regelungen fallen vielmehr in die Kompetenz der Kantone, etwa die Regelung der Besuchszeiten oder der Erlass eines Besuchsverbots. Bemerkenswert sei vor diesem Hintergrund, so Monteverde, dass das Bundesamt für Ge- sundheit etwa in seinen «Informationen und Empfehlungen für Institutionen» von Anfang Juni 2020 empfehle, die Be- suche vor allem von besonders gefährdeten Personen wei- terhin umsichtig vorzusehen. Viele Kantone haben ihrerseits entsprechend der ihnen vom Bund übertragenen Kompetenz Besuchsverbote be- schlossen, wobei verschiedene Erlasse es den Heimen über- lassen, in bestimmten Ausnahmefällen vom Besuchsverbot abzuweichen. Andere Erlasse verpflichten die Heime trotz eines Besuchsverbots dazu, Massnahmen zu ergreifen, um den Kontakt zwischen Bewohnenden und Angehörigen aufrechtzuerhalten, wozu nach Möglichkeit auch der persönliche Kontakt gehört. Gefordert: Eine Entlastung der Heime Aufgrund dieser vielfach schwammigen Verfügungen habe man, so Monteverde, die Heime gleichsam im Regen stehen lassen. In einer solchen Situation aber entscheide man sich schnell für die sicherste Lösung, sprich: Besuche eben kaum mehr zuzulassen, von Angehörigen, aber zumTeil auch von Beiständen oder Hausärztinnen und Hausärzten. Montever- de: «Aus Angst davor, dass Angehörige eine Verletzung der Sorgfaltspflicht geltend machen könnten, bekommt der Schutz des Lebens eine sehr grosse Bedeutung.» Nachvoll- ziehbar sei dieser Reflex in der initialen Phase einer Pande- mie. Man habe aber vielerorts zu lange mit Öffnungsschrit- ten zugewartet, obwohl bereits bekannt war, wie man sich schützen konnte, und auch klar wurde, welche negativen Folgen das Besuchsverbot hatte. Problematisch ist aus Sicht des Ethikers vor allem, dass Heimleitungen über die Be- schneidung der Persönlichkeitsrechte entscheiden können respektive entscheiden müssen. «Es darf nicht sein, dass die Heimleitung darüber bestimmt, ob die Angehörigen auf Besuch kommen dürfen oder ob es einen Beistand oder Hausarzt braucht.» Die Entscheidung darüber müsse bei den Bewohnenden respektive bei deren Vertretungspersonen liegen, zumal die Heime ja das Zuhause der Betagten sind. Settimio Monteverde ist mit dieser Sichtweise nicht allei- ne. In ihrem Appell vom 1. Juli 2020 «Pandemie: Lebens- schutz und Lebensqualität in der Langzeitpflege» haben sich zahlreiche Medizinethikerinnen und Medizinethiker in der Schweiz dazu bekannt. So heisst es hier zum Beispiel: «Men- schen in Langzeitinstitutionen leben in privat genutzten Räumlichkeiten. Das Recht auf Selbstbestimmung in der eigenen Privatsphäre muss ihnen auch in ausserordentlichen Lagen zugestanden werden, selbstredend unter Einhaltung empfohlener Schutzstandards und Beachtung bestehender Schutzkonzepte, deren Wirksamkeit und Verhältnismässig- keit kontinuierlich zu überprüfen sind.» Der Appell postuliert, dass selbst unter Isolationsbedin- gungen der Zugang von Vertretungspersonen, Beiständen, engen Bezugspersonen und von notwendigen Fachpersonen gewährleistet sein müsse. Damit diese Forderung auch tatsächlich gelebt werden kann, braucht es gemäss Settimio Monteverde eine Entlas- tung der Heime durch die Behörden. «Bund und Kantone müssen sich verbindlich dazu bekennen, dass bei verletzli- chen Personen physische Kontakte gewährleistet sein müs- sen.» Je nach Pandemiesituation sind das minimale, aber tägliche soziale Kontakte bis hin zur Ermöglichung eines beinahe uneingeschränkten Zugangs. Gerade die Angehö- rigen, so Monteverde, bedeuten in einer Pandemie für die Pflegenden eine grosse Unterstützung. Eine Ressource, auf welche die Heime gerade in einer Zeit, in der auch viele Pflegende krankheitshalber ausfallen, nicht verzichten kön- nen. Anzeige Kerzen und Seifen selber machen Beste Rohmaterialien, Gerät- schaften und Zubehör für Hobby, Schulen, Kirchen und Werkstätten. EXAGON, Räffelstrasse 10, 8045 Zürich, Tel. 044/430 36 76, Fax 044/430 36 66 E-Mail: info@exagon.ch www.exagon.ch

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