Ethische Fragen stellen | Magazin ARTISET | 10 / 2022

20  ARTISET 10/11 I 2022 1. Die Vorbereitung Schwierige, konfliktträchtige Fragen, die plagen, inklusiv auf den Tisch zu bringen, erfordert eine bestimmte Haltung von den Fachleuten: «Sie müssen die Mitwirkung als eine Pflicht auffassen und nicht als ‹nice to have› oder als Option, um ‹den Betroffenen einen Gefallen zu tun›», sagt Corinne Wohl­ gensinger. Andererseits müssen die Betrof­ fenen lernen, selbst zu entscheiden. «Wir Betroffenen sind es gewohnt, dass für uns entschieden wird. Deshalb müssen wir ler­ nen, mitzureden, zu entscheiden und Ver­ antwortung zu übernehmen», fasst Urban Hanny zusammen. Die Institutionen müs­ sen deshalb Zeit und Geld investieren, in­ dem sie zum Beispiel das Personal und die Betroffenen für Mitwirkung und Selbstbe­ stimmung schulen. Belastende Fragen partizipativ angehen Ist es richtig, Alkoholkonsum zu verbieten oder den Zugang zu Süssigkeiten zu kontrollieren? Solche Fragen rund um das Selbstbestimmungsrecht und die Fürsorge­ pflicht stellen sich in vielen Institution. Unter dem Motto «Schwierige Entscheide – Gemeinsame Lösungen» (Segel) hat ein Team aus Menschen mit und ohne Beein­ trächtigung eine Methode entwickelt, um Fragen der Selbstbestimmung auf inklusive Weise anzugehen. Corinne Wohlgensinger, Co-Projektleiterin von «Segel», und Team-Mitglied Urban Hanny präsentieren auf dieser Doppelseite ihre Methode. Von France Santi EIN ERFOLGREICHER WORKSHOP ZU ALKOHOLFRAGEN In der Institution Landscheide in Schönengrund AR, in der Menschen mit kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen leben und ar- beiten, untersagte die Hausordnung bislang den Alkoholkonsum. Die zu besprechenden Fragen waren also: Warum ist Alkohol in der Landscheide verboten? Wieso ist er für alle in der Institution verbo- ten? Ist es richtig, dass die Fachpersonen den Bewohnenden den Alkoholkonsum verbieten können? Um diesen Fragen nachzugehen, wurde mit sechs Betroffenen ein «Segel»-Workshop durchgeführt. «Die Teilnehmenden konnten feststellen, dass es auf diese Fragen keine einfachen Antworten gibt. Erlaubt man Alkohol, erhöht sich die Freiheit, aber es gibt auch Gefahren», erläutert Susan Krellner, Wohnheimleiterin der Landscheide. Das Ergebnis des Workshops war die Aufhebung des Alkoholverbots. Krellner: «Wir haben das Verbot aufgehoben, jedoch die Diskussion rund um die Gefahren weitergeführt. Der Wohnrat, ein Austauschgefäss zwischen Wohn- heimleitung und Bewohnenden, hat daraufhin geprüft, welche neuen Regeln eingeführt werden mussten. Zum Beispiel: Niemand darf andere zum Trinken zwingen. Oder, wer Alkohol trinken möchte und Medikamente einnimmt, muss das mit seinemArzt besprechen.» Für die Wohnheimleiterin ist die Methode Segel «intensiv, aber sie führt zu konkreten Lösungen». Im Fokus

RkJQdWJsaXNoZXIy NDQzMjY=