10 ARTISET 10/11 I 2023 behandeln. Wenn man eine Depression gut behandelt, und hier denke ich neben Medikamenten ganz besonders auch an psychotherapeutische Massnahmen, dann kann man einen Teil der Alltagseinschränkungen rückgängig machen. Gerade in den frühen Phasen einer Demenz kann damit die Alltagsfähigkeit gut erhalten werden. Eigentliche psychotische Symptome wie Halluzinationen und Wahn treten erst im späteren Verlauf auf. Psychiatrische Erkrankungen im Alter haben oft somatische Ursachen? Es verbinden sich physische Krankheitsbilder tatsächlich öfters mit psychischen Erkrankungen. Diabetes zum Beispiel oder Kreislauferkrankungen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt oder Schlaganfall können Depressionen hervorrufen. Diese Erkrankungen sind Risikofaktoren für eine Depression, und umgekehrt ist eine Depression ein Risikofaktor für diese Erkrankungen. Aufgrund verschiedener Krankheiten kommt dann auch die Polypharmazie ins Spiel … …kann die Nebenwirkung von Medikamenten auch zu psychischen Erkrankungen führen? Viele Betagte nehmen eine Reihe von somatischen Medikamenten. Dadurch kommt es vermehrt zu Interaktionen zwischen den Wirkstoffen und zu mehr Nebenwirkungen. Diese können auch Depressionen auslösen. Insbesondere bei Frauen beobachten wir einen vermehrten Konsum von Benzodiazepinen und Sedativa, um Schlafstörungen zu bekämpfen. Solche Medikamente können rasch zu einer krankhaften Abhängigkeit führen. Gleiches gilt auch für den Konsum von Schmerzmitteln. Psychische Störungen treten bei alten und hochbetagten Menschen aber sicher auch unabhängig von somatischen Ursachen auf? Ja natürlich, verschiedene alterspsychiatrische Erkrankungen, ganz besonders die Altersdepression, haben nicht nur somatische Risikofaktoren. Es bestehen vielmehr auch soziale Risikofaktoren. An erster Stelle steht hier sicher die soziale Isolation, die Einsamkeit. Risikofaktoren sind auch der Verlust von Mobilität, der Verlust von Angehörigen oder auch der Verlust eines Haustiers. Wie beurteilen Sie die Häufigkeit von Altersdepressionen? Aufgrund der demografischen Entwicklung stellen wir bei betagten Menschen neben der Zunahme verschiedener Arten von Demenz vor allem auch eine Zunahme von Depressionen fest. Diese wiederum stehen oft am Beginn einer Abhängigkeitserkrankung. Bei Frauen wird diese vor allem durch Medikamente verursacht, bei Männern durch Alkohol. Depressionen sind die häufigste psychische Erkrankung in der Gesellschaft allgemein. Sie stehen also auch bei den über 65-Jährigen ganz weit vorne? Depressionen kommen auch bei betagten Menschen oft vor. Sie treten aber in einer anderen Form auf als bei jüngeren Menschen. Wir beobachten oft eine Chronifizierung, und hinzu kommt dann noch eine Resistenz gegen medikamentöse Therapien. Was meinen Sie mit «Chronifizierung»? Anders als bei Jüngeren beobachten wir im Alter sehr viele subsyndromale Depressionen. Das heisst, sie erreichen nicht die Schwelle einer schweren Depression. Zudem stehen sie oft in Verbindung mit körperlichen Symptomen wie Schmerzen, Schwindelgefühl und Schlafstörungen. Depressionen im Alter sind oft auch unterdiagnostiziert. Dies führt dann auch zu einer Zunahme der Suizidalität. ALTERSDEPRESSION – WAS IST ZU TUN? Diagnostik und Therapie der Altersdepression können nur interprofessionell und interdisziplinär angegangen werden. Daher hat eine Expertengruppe unter der Federführung der Schweizerischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und -psychotherapie (SGAP) Empfehlungen erarbeitet, um die diagnostischen und therapeutischen Interventionsmöglichkeiten im Alltag übersichtlich darzustellen und um die Früherkennung und Therapie der Altersdepression zu fördern. Martin Hatzinger, Egemen Savaskan (Hrsg.), Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie der Depression im Alter. Frühzeitige Erkennung und evidenzbasierte Behandlung. Hogrefe- Verlag, Bern, 2019. «Heute sind gerade auch in Alters- und Pflegeheimen Antipsychotika verbreitet. Auch diese Medikamentengruppe muss aber kritisch betrachtet werden.» Egemen Savaskan
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