ARTISET 10/11 I 2023 13 Empfehlen Sie den Einsatz von Antipsychotika? Antipsychotika sind nur in Ausnahmefällen angezeigt, nämlich in schweren Fällen mit psychotischen Symptomen, die zu Aggressivität gegenüber sich selbst und anderen führen. Das ist vor allem im späteren Verlauf einer Demenz der Fall. Eine weitere Medikamentengruppe sind die Antidepressiva. Diese haben eher wenige Nebenwirkungen. Wir empfehlen sie neben Psychotherapien bei schweren Depressionen. Leichte bis mittelschwere Depressionen können hingegen gut einzig mit Psychotherapien behandelt werden. Sie haben es angesprochen: Gerade Antipsychotika sind in Alters- und Pflegeheimen vielfach verbreitet. Viele Pflegeheime nützen heute die nicht-pharmakologischen Therapien einschliesslich der Psychotherapien noch viel zu wenig. Wenn wir diese Therapien besser nützen könnten, bräuchten wir weniger Medikamente, gerade auch bei den rund 30 bis 40 Prozent der Bewohnenden in den Alters- und Pflegeheimen, die an Demenz erkrankt sind. Können Sie das näher ausführen? Nicht-pharmakologische Therapien sollten als Therapien der ersten Wahl bei Demenzpatientinnen und -patienten angewendet werden. Die meisten Demenzerkrankten haben zum Beispiel Schlafstörungen. Das hat wesentlich auch damit zu tun, dass sie sehr zurückgezogen leben. Wenn sie aber jeden Tag aktiviert werden und ausreichend Licht bekommen, können sie auch besser schlafen. Besonders bewähren sich zu diesem Zweck auch eigentliche Lichttherapien. Weil solche nicht-pharmakologischen Therapien aber sehr personalintensiv und damit teuer sind, kommen dann aber eben oft Medikamente zum Einsatz? Ja, aber ich möchte das nicht als Vorwurf formulieren. Viele Pflegeheime machen eine sehr gute Arbeit. Vielfach fehlen aber die Ressourcen für die Fachpflege und das Fachpersonal. Und selbst wenn genügende Geld vorhanden wäre, ist es sehr schwierig, das entsprechend ausgebildete Fachpersonal zu finden. Gerade im internationalen Vergleich verfügt die Schweiz aber doch über eine gute Situation, wir haben bei der Förderung von nicht- pharmakologischen Therapien aber klar Nachholbedarf. Was ist gerade auch unter den gegebenen Rahmenbedingungen zu tun? Ein wichtiger Punkt ist die Weiterbildung der Pflegenden, damit sie all die nicht-pharmakologischen Therapien kennen und anwenden können. Es gibt sehr viele solcher Therapien, etwa die Ergotherapie, die Musiktherapie, Tiergestützte Therapien, Physiotherapie, mobilitätsfördernde Therapie, aber auch gemeinsame Anlässe und psychotherapeutische Therapien. Braucht es für diese Weiterentwicklung der Pflegenden nicht auch spezialisierte Ärztinnen und Ärzte in den Heimen? Wir plädieren von der Schweizerischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie dafür, dass jedes Heim den Zugang zu einem Alterspsychiater oder eine Alterspsychiaterin haben sollte. Neben der Versorgung durch Hausärztinnen und Hausärzte braucht es eine solche Spezialisierung. Eine gute Möglichkeit dafür bieten die Konsiliar- und Liaisondienste von alterspsychiatrischen Kliniken. Diese müssen wir ausbauen. Es gibt aber schweizweit zu wenige spezialisierte Kliniken. Im Kanton Zürich gibt es eine vergleichsweise sehr gute Versorgung. Im Kanton Zürich gibt es insgesamt vier Alterspsychiatrische Kliniken, und alle verfügen sie über Konsiliar- und Liaisondienste. Unsere Klinik zum Beispiel betreut in der Stadt Zürich 34 privat geführte Alters- und Pflegeheime. Für die direkt von der Stadt Zürich geführten Heime ist der stadtärztliche Dienst verantwortlich. Obwohl die Versorgung grundsätzlich gut funktioniert, ist die Finanzierung unserer Dienstleistungen ein Problem. Über den ambulanten KVG-Tarif Tarmed sind nur die ärztlichen Leistungen gezahlt. Wir arbeiten aber in der Begleitung der Heime mit interprofessionellen Teams. Die Abgeltung dafür ist ungenügend. * Egemen Savaskan, Jg. 1964, Prof. Dr. med., ist Chefarzt /Direktor a. i. der Klinik für Alterspsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und Titularprofessor an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich. Er ist Co-Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie (SGAP). Schweizerische Gesellschaft für Alterspsychiatrie und -psychotherapie ➞ sgap-sppa.ch «Ein wichtiger Punkt ist die Weiterbildung der Pflegenden, damit sie all die nicht-pharmakologischen Therapien kennen und anwenden können.» Egemen Savaskan Im Fokus
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