28 ARTISET 10/11 I 2023 magst du es vielleicht mit einem halben Tag versuchen. Oder zumindest mit einer Stunde.» Solche Einstiegshilfen oder gar Angebote à la: «Du magst nicht in die Werkstatt gehen? Okay, dann kommt die Werkstatt zu dir!» seien oft hilfreich, auch wenn sie viel Geduld brauchen, erklärt de Lange: Es gehe darum, Vertrauen aufzubauen. «Vor allem aber wollen wir die vereinbarten Ziele zwingend erreichbar und realistisch formulieren, damit die Jugendlichen nicht immer wieder scheitern, sondern damit wir sie loben können.» Zu niedrige Ziele seien nicht hilfreich, weil sie kränkend oder abwertend wirken, aber niederschwellige Unterstützung helfe oft beim Stabilisieren und Weiterkommen: «Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von allen Seiten fördert erste Erfolgserlebnisse, und diese wiederum helfen den Jugendlichen, ihren Platz in der Gesellschaft wieder zu finden.» Somosa ist anerkannt vom Bundesamt für Justiz und vom Amt für Jugend- und Berufsberatung ZH, steht aber zugleich als Jugendpsychiatrische Klinik auf der Spitalliste des Kantons Zürich. Rund die Hälfte der Jugendlichen wird von Sozialbehörden, teils auch von der Kesb oder Jugendanwaltschaft überwiesen, die andere Hälfte kommt aus einer jugendpsychiatrischen Klinik. Wer in die Somosa eintritt, hat also nebst einer Zuweisung zwingend eine behandelbare psychiatrische Diagnose, die einen stationären Aufenthalt nötig macht. Benjo de Lange ist stolz auf seine Station, die nächstes Jahr das 30-Jahr-Jubiläum feiert, aber immer noch einen Modellcharakter aufweist: «Diese enge Zusammenarbeit von Sozialpädagogik und Psychiatrie ist in der Schweiz – und übrigens auch in den umliegenden Ländern – ein einzigartiges Angebot», sagt er. «Das gibt es in dieser konsequenten Verflechtung, die uns auch in sehr komplexen Fällen tragfähig macht, sonst nirgends.» Wer also kommt in die Somosa? «Es sind multifaktoriell belastete Jugendliche», erklärt Jugendpsychiater Leonhard Funk. Ganz unterschiedliche Faktoren können eine gesunde Entwicklung erschweren und zu chronischen psychischen Belastung führen. Unter anderem können das Erkrankungen oder Suchtthematik bei den Eltern, Scheitern in der Schule, fehlender sozialer Anschluss oder generell viele Wechsel und Abbrüche sein: «Wer zu uns kommt, hat in der Regel schon sechs bis acht Abbrüche hinter sich.» Halt bekommen, um das Leben meistern zu können Das Ziel der Teams ist daher, einen so stabilen Halt zu bieten, dass es genau dazu nicht mehr kommt. «Wir wollen nicht der nächste Abbruch sein», betont Funk. Vielmehr sollen die Jugendlichen zum ersten Mal ein tragfähiges Umfeld erleben, das den vielen Herausforderungen auf allen Ebenen gewachsen ist. Rund 6 bis 12 Monate dauert ein Aufenthalt in der Somosa, länger als oft bei Aufenthalten in der Jugendpsychiatrie üblich. In dieser Zeit erhalten die Jugendlichen zweimal pro Woche intensive Einzeltherapie, daneben besuchen sie oft eine Gruppentherapie, gearbeitet wird mit integrativen psychotherapeutischen Methoden. Das in der Therapie Erfahrene können die Jugendlichen in der Wohngruppe gemeinsam mit den Fachleuten aus der Sozialpädagogik reflektieren. «In dieser Zeit lernen sie basale Themen wie Selbststeuerungsfähigkeit, Impulskontrolle, Affektregulation, Gefühle verstehen und aushalten können und sie im Alltag steuern», erklärt Funk. «Für manche Jugendliche kann es schon ein Fortschritt sein, wenn sie keine weiteren Rückschritte machen.» Ausserdem sollen sich die Jugendlichen grundlegende Fragen zu ihrer Identität stellen: Wer bin ich, wer möchte ich sein, wer darf ich sein in der Gesellschaft? «Viele stehen an einem Punkt, an dem sie die Hoffnung aufgegeben haben und denken, sie bringen das nicht mehr auf die Reihe.» Das Ziel der kombinierten Unterstützung besteht darin, dass Jugendliche so viel Halt bekommen, dass sie nach dem Austritt – sei dies nach Hause, in eine andere Institution oder in die selbstständigere Wohnform – den Herausforderungen des Lebens, auch des Berufslebens, gewachsen sind. «Die Fachleute funktionieren intensiv und auf Augenhöhe und unkompliziert miteinander.» Benjo de Lange SOZIALPÄDAGOGISCH- PSYCHIATRISCHE MODELLSTATION «Somosa» steht fur «sozialpadagogisch psychiatrische Modellstation fur schwere Adoleszentenzstorungen». Die Modellstation wurde 1994 gegründet. Sie bietet Platz für 20 Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren, bisher ausschliesslich für junge Männer. Zum 30 jährigen Bestehen öffnet im Januar 2024 eine Station mit 8 Betten für junge Frauen. ➞ somosa.ch
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