ARTISET 10/11 I 2023 29 Beispiele könnten de Lange und Funk viele aufzählen, und in den Jahresberichten erzählen die Teams, wie die Zusammenarbeit funktioniert: im Bericht von 2020 beispielsweise bei «Sven», der schon früh eine schwere psychische Erkrankung der Mutter, Paarkonflikte der Eltern und unberechenbares Verhalten von Bezugspersonen unter Alkoholeinfluss miterlebt hatte. In der Pubertät entdeckte er Suchtmittel für sich und rutschte in die Kriminalität ab, und als er mit knapp 16 Jahren in die Somosa kam, hatte er bereits fünf abgebrochene Platzierungen und einen Aufenthalt in der Jugendpsychiatrie hinter sich. «Sven reagierte meistens mit Wut auf alle möglichen Situationen», beschrieb Jens Konejung, Abteilungsleiter Sozialpädagogik. Auch Sozialpädagoge Stefan Lienhard erlebte ihn in der Arbeitsagogik als wenig kooperativ: «Diskussionen und Entwertungen gab es fast täglich.» Wie dann die Sozialpädagogen gemeinsam mit dem Psychotherapeuten Patrick Leemann, der Musiktherapeutin Verena Barbera und dem Kunsttherapeuten Manuel Boesch alle auf ihre Weise einen Zugang zum verschlossenen Jugendlichen fanden, ist eindrücklich auf untenstehendem Link zu lesen. Psychotherapeut Patrick Leemann fasste zusammen: «Die enge Zusammenarbeit zwischen den Bereichen der Somosa erlaubte es, auch mit den Bezugspersonen der anderen Berufsgruppen gewisse Erklärungen für Svens Verhaltensweisen auszutauschen, sodass es allen zunehmend besser gelang, mit Svens nervendem und manchmal aggressivem Verhalten umzugehen.» Die Zusammenarbeit an dieser Schnittstelle von Sozialpädagogik und Jugendpsychiatrie ist allerdings auch für die Teammitglieder intensiv. Gesamtleiter de Lange sagt halb im Scherz: «Wir betreiben quasi systemische Arbeit auch zwischen den verschiedenen Berufsgruppen.» Gegenseitiges Lernen, innovative Prozesse, Offenheit und Transparenz, effizientes Arbeiten und eine lösungsorientierte Fehlerkultur, all das seien die Stärken der interdisziplinären Teams, sagt er: «Die Fachleute funktionieren intensiv und auf Augenhöhe und unkompliziert miteinander.» Und: «Sie wissen, was an anderen Orten nicht funktioniert hat, und können darauf aufbauen.» Bedürfnisse rasch erfassen und gemeinsam handeln Das intensive gemeinsame Vorortsein erlaube auch, schnell, situativ und flexibel Bedürfnisse zu erfassen und zu erfüllen. Aber einfach, Gesamtleiter de Lange und Jugendpsychiater Funk lächeln gleichzeitig breit, nein, einfach sei das beileibe nicht. De Lange sagt unumwunden: «Fachlichen Disput gibt es täglich!» Laufend werde debattiert, wo man ansetzen solle, ob die psychiatrischen oder die sozialen Auffälligkeiten zuerst angegangen werden sollen oder wie man in diesem oder jenem besonderen Fall vorgehen wolle. Und das sei gut so: «Solche Auffälligkeiten sind nicht stabil, einmal macht es mehr Sinn, sie pädagogisch anzugehen, manchmal psychiatrisch – das muss immer wieder neu bewertet werden.» Wäre die Lösung für viele Probleme also simpel, und es braucht ganz einfach «mehr Somosa»? Funk und de Lange schütteln einhellig den Kopf. Nein, eine Einrichtung wie Somosa sei dort unterstützend, wo es sehr komplex sei. Aber bei allen Vorteilen sei das Modell doch nur für jene Jugendlichen anwendbar, bei denen tatsächlich ein Klinikaufenthalt angezeigt sei. Was aber schon längst klar ist: Es braucht Somosa auch für junge Frauen. Angedacht sei das Thema seit über zehn Jahren, jetzt ergab sich ein idealer Standort, auf dem die neue Wohneinheit gebaut werden konnte. «Das war längst notwendig, jetzt wird es endlich Realität», freut sich Benjo de Lange. Damit komme eine neue fachliche Herausforderung auf die Somosa zu: «Das Prinzip bleibt gleich, die Themen werden ein bisschen anders», sagt de Lange. Er ist glücklich, dass er trotz der angespannten Situation das notwendige Personal aus den Bereichen Psychiatrie, Sozialpädagogik und Arbeitsagogik anstellen konnte. Nebst einer zusätzlichen Leitenden Ärztin werden auch weitere Mitarbeitende zum Team stossen, um die neuen Bedürfnisse abzudecken. Somosa wird also modern – und bleibt beim Bewährten: bei der engen interdisziplinären Zusammenarbeit. Im Fokus «In dieser Zeit lernen Jugendliche basale Themen wie Impulskontrolle, Affektregulation, Gefühle verstehen und aushalten können.» Leonhard Funk Zum Beispiel Sven, Fachpersonen erzählen: Kurzfilm über Somosa:
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