Wenn die seele hilfe braucht | Magazin ARTISET |10-11-2023

ARTISET 10/11 I 2023 3 Editorial «Wenn es um den Zustand der Seele geht, müssen wir uns verabschieden von einfachen Erklärungen und Rezepten.» Elisabeth Seifert, Chefredaktorin Liebe Leserin, lieber Leser Eine Umfrage des schweizerischen Gesundheitsobservatoriums vom letzten Herbst legt offen: Die psychische Gesundheit hat sich im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie nicht etwa erholt, sondern eher verschlechtert. Es gibt weniger sehr glückliche oder sehr zufriedene Menschen. Jede achte Person weist schwerwiegende Symptome auf, die das tägliche Leben beeinträchtigen und bis hin zu Suizidgedanken führen können. Viele Betroffene werden im Gesundheitssystem nicht erfasst, da sie keine Hilfe suchen. Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung rund um die psychische Gesundheit sowie die Symptome psychischer Erkrankungen und mögliche Hilfsangebote sind denn auch seit vielen Jahren ein Thema in der Öffentlichkeit. So zum Beispiel jedes Jahr anlässlich des 10. Oktober, dem internationalen Tag der psychischen Gesundheit. Bei der Erarbeitung dieser Ausgabe des Magazins ist uns bewusst geworden, wie schwierig es sein kann, eine Diagnose zu stellen, die richtige Therapie zu finden. Wenn es um den Zustand der Seele geht, müssen wir uns verabschieden von einfachen Erklärungen und Rezepten. Diagnosen und Therapien entziehen sich der einseitigen Kommunikation zwischen der «wissenden» Fachperson und dem «gehorchenden» Patienten oder der «gehorchenden» Patientin. Nur wenn Betroffene auf Augenhöhe mitreden können, kann es gelingen, die Hintergründe einer psychischen Erkrankung besser zu verstehen und mögliche Genesungswege zu erkennen. Unsere Porträts von Andrea Zwicknagl (Seite 20) und Christian Heiniger (Seite 14) zeigen eindrücklich, wie wichtig ein solch gemeinsamer Reflexionsprozess zwischen Fachleuten und den betroffenen Personen ist. Ihre Erfahrungen machen zudem deutlich, dass der Austausch mit Menschen, die ähnliche Situationen durchleben oder durchlebt haben, eine wertvolle Unterstützung bietet. Je besser es auf diese Weise gelingt, die Gründe für psychiatrische Symptome zu verstehen, desto eher können die oft von Nebenwirkungen begleiteten Medikamente reduziert werden. Gerade bei betagten und hochbetagten Menschen müssen gemäss Alterspsychiater Egemen Savaskan nicht-medikamentöse Therapien im Vordergrund stehen (Seite 9). Insbesondere bei Menschen mit einer Demenz, die sehr oft ein oder mehrere psychiatrische Symptome aufweisen. Damit in den Pflegeheimen alternative Therapien besser genutzt werden können, brauche es eine Weiterentwicklung der Pflegenden sowie einen Ausbau der Konsiliar- und Liaisondienste von Alterspsychiatrischen Kliniken. Der Römerhof in Zürich etwa misst der psychosozialen Pflege eine grosse Bedeutung bei (Seite 6). Während in der Langzeitpflege die Zusammenarbeit zwischen der Pflege und der Alterspsychiatrie an Bedeutung gewinnen muss, erfordert eine adäquate Betreuung und Begleitung vieler Jugendlicher eine bessere Zusammenarbeit zwischen der Sozialpädagogik sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Der Bericht über die Modellstation Somosa in Winterthur (Seite 26) zeigt den grossen Wert interdisziplinär zusammengesetzter Teams. Titelbild: Andrea Zwicknagl vor der Johanneskirche im Berner Quartier Breitsch. Sie ist Expertin aus Erfahrung und wirkt als Betroffenenvertreterin im Stiftungsrat von Pro Mente Sana. Foto: Adrian Moser

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