Wenn die seele hilfe braucht | Magazin ARTISET |10-11-2023

36 ARTISET 10/11 I 2023 beruflich immer mehr. Um mehr darüber zu wissen, habe ich dann Gerontologie studiert. Sie überblicken als Gerontologe mehrere Jahrzehnte: Wie hat sich der gesellschaftliche Umgang mit dem Alter und dem Altwerden verändert? «Vom Naserümpfen bis zum Ernstnehmen», damit könnte man die Entwicklung seit den 70er-Jahren übertiteln. Die Gesellschaft machte mit der Wahrnehmung des Alters eine Entwicklung durch, die jeder Mensch in seiner eigenen Biografie erlebt. Bereits Mitte der 70er-Jahre wusste man, dass eine Zeit kommt, in der es sehr viele alte Menschen geben wird. Das wollte aber niemand wissen. In den 90er-Jahren dann, als immer mehr Gutverdienende in Pension gingen, entdeckte man die älteren Menschen als Konsumentinnen und Konsumenten und rümpfte die Nase nicht mehr. Über das hohe Alter rümpft man heute immer noch die Nase… Wir sind mit dem Naserümpfen eine Altersstufe hinaufgerutscht. Es wird aber heute viel mehr über das hohe Alter geredet als noch in den 90er-Jahren, auch über den Tod spricht man. Das zeigen etwa die Diskussionen über Exit. Gerade in der Wissenschaft ist das hohe Alter sehr präsent. Die gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit hinkt meistens etwas hinterher. Wenn es immer mehr alte Menschen in der Gesellschaft gibt, müssen wir uns dem Thema stellen. Einen grossen Teil Ihrer beruflichen Tätigkeit haben Sie im Bereich der stationären Langzeitpflege verbracht, zuerst bei der Tertianum AG und seit 2003 bei Curaviva. Was fasziniert Sie daran, obwohl niemand wirklich ins Heim will? Wenn niemand ins Heim will, dann vor allem deshalb, weil die Menschen Angst haben vor dem Lebensende und dem Sterben. Im Bereich der Langzeitpflege steckt dabei ein grosses Potenzial. Und zwar dann, wenn wir die Heime nicht mehr primär als Institution für die Pflege verstehen, sondern vor allem als Wohn- und Lebensort, der die Pflege integriert. Im Jahr 2015 haben Sie mit einer ersten Version des Wohn- und Pflegemodells (WOPM) 2030 die stationäre Langzeitpflege in eine ganzheitlich verstandene Betreuung und Pflege eingebettet. Wie kam es dazu? Die Grundlagen für das Modell hat die Gerontologie bereits in den 80er-Jahren geschaffen, und zwar mit der Entwicklung weg von einem defizitorientierten Blick auf das Alter hin zu einem Blick, der sich an den Kompetenzen und Ressourcen orientiert. Pflege und Betreuung sollen sich am effektiven Bedarf orientieren, und die betagten Menschen sollen dazu ermuntert werden, ihre vorhandenen Ressourcen einzusetzen. In Markus Leser: «Die fachliche Arbeit für die Branche und die Kontakte mit den Pflegeheimen haben mir immer sehr viel Freude bereitet.» Foto: esf

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