ARTISET 12 I 2022 13 Der Austausch unter Menschen in ähnlichen Situationen wirkt sich auf der individuellen und der gesellschaftlichen Ebene positiv aus. Lukas Zemp, Geschäftsführer der Stiftung Selbsthilfe Schweiz*, setzt sich für eine gesetzliche Verankerung der Selbsthilfe ein – und bemüht sich um Partnerschaften mit Organisationen im Sozial- und Gesundheitsbereich. Interview: Elisabeth Seifert «Selbsthilfegruppen stärken die Selbstkompetenz» Herr Zemp, die Stiftung Selbsthilfe Schweiz engagiert sich für die Anliegen der gemeinschaftlichen Selbsthilfe. Was ist das genau? Bei der gemeinschaftlichen Selbsthilfe schliessen sich Menschen mit denselben Problemen, einem gemeinsamen Anliegen oder in einer gleichen Lebenssituation zusammen, um sich gegenseitig zu helfen. Die Gruppen gestalten ihre Gespräche sorgfältig. Sie werden in der Anfangsphase und bei allfälligen Schwierigkeiten von Fachpersonen in den regionalen Selbsthilfezentren begleitet. Die gemeinschaftliche Selbsthilfe kann bei psychischen und körperlichen Erkrankungen oder Beeinträchtigungen oder in sozialen Lebensfragen Halt und Unterstützung geben. Die Teilnehmenden verstehen sich dabei als Expertinnen und Experten auf ihrem Gebiet. … steht die gemeinschaf tliche Selbsthilfe damit in einem gewissen Spannungsfeld zur Expertise der Fachpersonen? Die Selbsthilfe ersetzt nicht die fachliche Unterstützung, ist aber in den genannten Bereichen komplementär sehr hilfreich. In der Schweiz ist die gemeinschaftliche Selbsthilfe in den 80er-Jahren aus dem Wunsch heraus entstanden, die eigenen Ressourcen zu stärken und damit die Selbstkompetenz zu fördern. Ganz ähnlich funktionieren auch Ansätze des Empowerments. Auch hier geht es darum, die Selbstheilungskräfte zu aktivieren und Selbstwirksamkeit erleben zu können. Gemeinschaftlich organisierte Selbsthilfegruppen bieten einen guten Rahmen, um sich partnerschaftlich, auf Augenhöhe und ohne Bevormundung begegnen zu können. Wo steht die gemeinschaftliche Selbsthilfe heute nach den Anfängen vor rund 40 Jahren? Entsprechend der Idee der gemeinschaftlichen Selbsthilfe handelte es sich vor allem zu Beginn um eine klassische Bottom-up-Bewegung, eine Bewegung also, die von den betroffenen Menschen selbst ins Leben gerufen und vorangetrieben worden ist. Im Lauf der Zeit haben sich dann professionelle Strukturen entwickelt, um die Qualität der gemeinschaftlichen Selbsthilfe zu fördern und die Anliegen der Selbsthilfe in der Öffentlichkeit bekannter zu machen. Seit gut 20 Jahren gibt es die Stiftung Selbsthilfe Schweiz, die als Koordinations- und Dienstleistungsstelle von 22 regionalen Selbsthilfezentren agiert. Die einzelnen Selbsthilfezentren sindAnlauf- undBeratungsstellen für die Selbsthilfegruppen. Konkret: Wie viele Selbsthilfegruppen gibt es heute? Schweizweit existieren heute rund 2800 lokale Selbsthilfegruppen zu rund 300 Themen. Insgesamt nehmen rund 45000 Menschen an den Treffen teil. Drei Viertel der Selbsthilfegruppen sind im psychischen und somatischen Bereich angesiedelt und rund ein Viertel im sozialen Bereich. Auffallend ist, dass im Gesundheitsbereich der Anteil an Gruppen mit psychosomatischen und Im Fokus
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