Erfahrungen teilen

ARTISET 12 I 2022 21 Die letzten Herbstblätter leuchten gelb-orange in der Sonne, hinter dem Springbrunnenteich thront das Schloss, dem die Institution Schlossgarten Riggisberg bei Bern den Namen verdankt. Langsam spazieren Pedro Codes und eine Bewohnerin über den Kiesweg, versunken in ein Gespräch. Es sieht gemütlich aus. Solche Spaziergänge beinhalten aber weit mehr: Codes ist einer der beiden festangestellten Peer-Mitarbeitenden mit Psychiatrieerfahrung, und seine Arbeit ist ein wichtiger Bestandteil im Institutionsangebot. Jeden Mittwoch führt er im Schlossgarten Riggisberg drei bis fünf Beratungsgespräche durch. Der ehemalige Musikjournalist hat eine Zusatzausbildung in Psychosozialer Beratung absolviert und kann gut auf die Bewohnenden eingehen. «Das Besondere, das ich bieten kann, ist meine eigene Geschichte und mein persönliches Verständnis», fasst er zusammen. Eine rezidivierende Depression, Angststörung, Migrationserfahrung und eine Mutter mit paranoider Schizophrenie – Codes kennt sich in vielenThemen aus, und das zählt. Nicht die gleiche Diagnose, sondern die gleiche Erfahrung verbindet: «Die Leute glauben mir aufgrund meiner persönlichen Geschichte einfach mehr.» Gespräche mit Bewohnerinnen oder Bewohnern führt er am liebsten beim Spazieren. «Da läuft auch das Hirn besser», scherzt er. Zu Beginn lässt er sein Gegenüber erzählen und versucht zu erkennen, welche Bedürfnisse ihm entgegenkommen. Er sucht nach Gemeinsamkeiten, baut eine Beziehung auf und gibt eigene Erfahrungen preis. Allerdings ist er auch darauf bedacht, sich mit Ratschlägen zurückzuhalten: «Wenn ich zu viel von mir preisgebe, nehme ich demGegenüber die Chance, selbst zu lernen.» Zugleich kommt das Abgrenzen auch ihm persönlich zugute. Anfangs hätten ihn belastende Erfahrungen des Gegenübers ziemlich mitgenommen. «Das ist ein Prozess, inzwischen kann ich das einordnen und weiss, dass ich auch beistehen kann, indem ich einfach nur da bin.» Wird die Belastung zu gross, erhält er Unterstützung durch ein externes Coaching. Das Wohlergehen «ihrer» Peer-Mitarbeitenden liegt Ursula von Bergen, Co-Leiterin Bereich Wohnen und Arbeiten, am Herzen: «Mir ist sehr wichtig zu sehen, wie es ihnen geht, denn sie sind wichtige Mitarbeitende unseres Beratungsteams.» Sie hält kurz inne und doppelt nach: «Ja, Peers sind für eine aufgeschlossene Institution wie den Schlossgarten sogar unverzichtbar.» Peers: Fest im Beratungsteam Zu dieser Überzeugung war sie gelangt, nachdem sie vor sechs, sieben Jahren zweimal externe Peers für Anlässe rund um Recovery eingeladen hatte, ein Modell, das Selbstwirksamkeit und Genesungspotenzial unterstützt. Psychiatrieerfahrene Menschen, die andere Betroffene begleiten – das mache so viel Sinn, sagt sie, dass es dringend festangestellte Peers benötige: «Diese sind Brückenbauer und Hoffnungsträger für die Bewohnenden.» Rasch reifte die Idee, je einen Mann und eine Frau anzustellen. Ursula von Bergen schaltete ein Inserat, lud die Bewerberinnen und Bewerber zu offiziellen Vorstellungsgesprächen und wählte dann zwei aus. Als 2019 im Schlossgarten die Beratungsstelle eröffnete, lautete eines der Angebote «Peers. Beratung auf Augenhöhe», darunter die Namen und Mailadressen von Pedro Codes und Daniela Wegmüller. Daniela Wegmüller, die zweite angestellte Peer, ist beim Interview nicht vor Ort, hat aber ihre Gedanken schriftlich mitgeteilt: «Die Bewohnerinnen und Bewohner erzählen imWissen, dass ihr Gegenüber nachvollziehen kann, wovon sie reden, wenn psychische Erschütterungen die Welt auf den Kopf stellen», erklärt sie. Oft werde sie nach ihren eigenen Erfahrungen und Strategien gefragt. Ihre Arbeit empfindet sie als «anspruchsvoll und herausfordernd, aber auch inspirierend». Noch lebhaft erinnert sie sich an einen Spieltag, an dem sie einen wortkargen und zurückgezogenen Bewohner zu einem gemeinsamen Spiel einlud. «Aus einem Spiel wurden zwei, drei, vier… Es war so schön zu sehen, wie er lächelte, seine Augen während des Spiels leuchteten und wie motiviert er in diesen Stunden war.» Auch die Zusammenarbeit im Team erlebt sie als sehr angenehm, Im Schlossgarten Riggisberg BE hat Peerarbeit einen hohen Stellenwert. Die Institution hat zwei Peers mit Psychiatrieerfahrung angestellt, die von allen Seiten geschätzt werden: Sie unterstützen Bewohnerinnen und Bewohner auf dem Weg zu mehr Selbstwirksamkeit. Von Claudia Weiss

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