Erfahrungen teilen

ARTISET 12 I 2022 3 Editorial «Verstanden fühlen wir uns besonders von Menschen, die in einer ähnlichen Lebenssituation sind und ähnliche Erfahrungen machen wie wir.» Elisabeth Seifert, Chefredaktorin Liebe Leserin, lieber Leser Wahrscheinlich kennen auch Sie dieses Gefühl von Zufriedenheit und Sicherheit, wenn wir mit Menschen zusammen sind, von denen wir uns verstanden fühlen. Verstanden fühlen wir uns dabei besonders von jenen Menschen, die in einer ähnlichen Lebenssituation sind wie wir und ähnliche Erfahrungen machen. Ihnen gegenüber öffnen wir uns, teilen mit ihnen unsere Sorgen und Probleme, aber auch unsere Hoffnungen. Indem wir unsere Erfahrungen austauschen, lernen wir vieles besser verstehen, gewinnen Zuversicht und Mut und erhalten auch den einen oder anderen wertvollen Tipp. Während wir alle auf solche Beziehungen angewiesen sind, trifft dies erst recht auf Menschen in besonders herausfordernden Lebenssituationen zu. Auf Menschen etwa, die aufgrund psychischer Probleme schwierige Erfahrungen machen. Oder auch auf Menschen mit Beeinträchtigungen unterschiedlicher Art, die auf ihrem Weg zu einem selbstbestimmten Leben viele Hindernisse überwinden müssen. Ähnliches gilt für Careleaverinnen und Careleaver, die sich die Integration in die Gesellschaft aufgrund fehlender Unterstützung hart erkämpfen müssen. Und ältere, betagte Menschen verlieren oft ihre langjährigen, vertrauten Beziehungen und damit ihre soziale Integration. Die Beiträge in unserem Fokus zeigen, welche Bedeutung Beziehungen unter «Peers» haben können, womit zunächst einfach «Gleichgesinnte» oder «Gleichbetroffene» gemeint sind. Sichtbar wird die Bedeutung zunächst im Erfolg der Selbsthilfebewegung, den Lukas Zemp, Geschäftsführer der Stiftung Selbsthilfe Schweiz, imGespräch mit demMagazin Artiset erörtert (Seite 13). Entstanden in den 1980er-Jahren, existieren heute rund 2800 lokale Selbsthilfegruppen zu rund 300Themen. Unsere Berichte über eine Radiosendung in Bern, bei der psychiatrieerfahrene Männer und Frauen mitwirken, sowie über ein Senioren-Netzwerk in der Westschweiz verdeutlichen die integrierende Funktion von Selbsthilfegruppen und ähnlicher Arrangements (Seiten 10 und 17). Zunehmend an Bedeutung im Sozial- und Gesundheitsbereich gewinnen «Peers» im Sinne von «Expertinnen und Experten aus Erfahrung», die zusätzlich eine spezifische Ausbildung durchlaufen, umMenschen in ähnlichen Lebenssituationen zu unterstützen, aber auch Fachpersonen zu beraten. Lesen Sie dazu unsere Porträts von Salome Balasso, die eine Weiterbildung für Menschen in Krisenerfahrungen absolviert hat, und von Dylan Yenni, der sich im Rahmen eines Westschweizer Pilotprojekts zum Inklusionsbegleiter ausbilden liess (Seiten 6 und 24). Auch Institutionen, gerade im Bereich von Menschen mit psychischer Beeinträchtigung, arbeiten vermehrt mit qualifizierten Peers, wie unsere Reportage aus dem «Schlossgarten Riggisberg» illustriert (Seite 20). Ähnlich funktioniert das «Götti-/Gotte-Programm» des Careleaver Netzwerks Region Basel (Seite 28). «Ohne Gael hätte ich nicht eine solch grosse Motivation, etwas aus mir zu machen. Obwohl auch er einen schwierigen Start hatte, machte er etwas Grosses daraus», sagt Angela über ihren «Götti». Sie bringt damit eindrücklich auf den Punkt, was die Peer-Beziehung bewirken kann. Titelbild: Pedro Codes, ein Peer mit Psychiatrieerfahrung, und eine Bewohnerin des «Schlossgarten Riggisberg» im Park der Institution. Foto: Marco Zanoni

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