ARTISET 12 I 2022 31 längeres Praktikum in Afrika zu absolvieren. Gael konnte Kontakte zu Stiftungen und Privatpersonen vermitteln, die viel Erfahrung mit solchen Einsätzen haben und auch die Finanzierung sicherstellen. Im Verlauf dieser Gespräche realisierte Angela, dass ein solches Vorhaben sehr viel Vorbereitungszeit erfordert, «Zeit, die ich gar nicht gehabt hätte». Sie werde das Praktikum aber sicher machen, einfach etwas später. «Angela reflektiert ihre Wünsche und Entscheidungen und lernt daraus», beobachtet Gael. Zum Beispiel auch was den Wunsch betrifft, selbstständig zu wohnen. «Schon vor einiger Zeit hatte ich die Idee, auszuziehen, was ich dann aber nicht gemacht habe», sagt sie. Und zwar nachdem Gael ihr erläutert hatte, welche Möglichkeiten ihr realistischerweise zur Verfügung gestanden hätten. «Das war zu realistisch für mich», meint sie schmunzelnd. Auch jetzt ist das Ausziehen wieder ein Thema. Die Alternativen, die ihr Gael bis jetzt vorgeschlagen hat, kommen für sie aber nicht infrage. «Wir suchen jetzt gemeinsam nach einer guten Lösung für den Übergang», so Gael. «Ich gehe so weit wie möglich mit ihr mit» «Angela hat eine klare Meinung, und wir hatten auch schon einige Themen, bei denen sie sich anders entschieden hat, als ich das gemacht hätte.» Für ihn steht aber jeweils fest, dass er sie in ihren Entscheidungen unterstützt: «Ich gehe so weit wie möglich mit ihr mit.» Unterschiedlichen Ansichten tragen auch dazu bei, so Gael, dass er über sich selbst reflektiere. Angela etwa lebe ihre Wünsche, zum Beispiel auch den Wunsch, Filmschauspiel zu studieren. Er aber habe sein Studium indes vor allem danach gewählt, was ihm im Alltag am meisten nützen kann, auch wenn er seine Wahl heute nicht bereue. Auch wenn er der «Götti» und sie das «Götti-Kind» ist, wisse er nicht alles besser, betont Gael. Er könne ihr aufgrund seiner Erfahrungen und auch der Fehler, die er gemacht habe, Tipps geben. Diese Tipps sollen immer dazu dienen, «sie in dem unterstützen, was sie will und nicht in dem, was ich meine, was für sie gut ist». Er habe kein «Helfersyndrom», sagt er. Er ist für sie da, wenn sie ihn braucht, ohne sich ihr aufzudrängen. «Ich weiss, dass ich mich jederzeit bei ihmmelden kann», sagt Angela. Wenn sie sich einmal einen Monat lang nicht meldet, ruft er bei ihr an und fragt, wie es geht. Bei einem grösseren Thema kann es zu häufigerenTelefonen oder auch mal zu einem Treffen kommen. Dann aber haben sie auch über einige Wochen hinweg keinen Kontakt. «Ohne Gael hätte ich nicht eine solch grosse Motivation, etwas aus mir zu machen»: Mit diesen Worten zieht Angela eindrücklich Bilanz aus den vergangenen fast zwei Jahren. Und für beide steht fest, sie werden weiterhin gemeinsam unterwegs sein, bis Angela den Übergang ins Leben als Careleaverin geschafft hat. Erfolgversprechend, aber auch anspruchsvoll Der bisherige Erfolg des Tandems von Gael und Angela entspricht den Ergebnissen eines Forschungsprojekts der FHNW: «Studien zeigen, dass die Unterstützung durch eine Person, die das Gleiche erlebt hat, sehr gut funktioniert», sagt Jennifer Perez. Sie arbeitet auf der Geschäftsstelle des Careleaver Netzwerks Region Basel respektive des neu gegründeten Vereins. Careleaverinnen und Careleaver, die wie Gael bereits einige Erfahrungen mit dem selbstständigen Leben gemacht haben, können Kolleginnen und Kollegen, die noch am Anfang dieser Erfahrung stehen, sehr glaubwürdig praktische Hilfe leisten. Sie fungieren als Bezugspersonen, die den Zugang zu unterstützenden Angeboten ermöglichen. Damit solche Tandems aber wirklich funktionieren, müssen sich die beiden jungen Menschen als Person gut verstehen, unterstreicht Jennifer Perez. Der Götti oder die Gotte ist zudem mit fachlichen und persönlichen Fragen, die zur Sprache kommen, stark gefordert. Die hohen Ansprüche sind gemäss Jennifer Perez einer der Gründe, weshalb sich seit dem Start des «Götti-/ Gotte-Programms» vor rund vier Jahren erst vier Tandems konstituiert haben. Und einzig das Tandem von Gael und Angela besteht auch heute noch. «Wir überlegen uns derzeit, wie die Kennenlernplattform gestaltet sein muss, damit die richtigen Personen zusammenkommen», so Perez. In Kooperation mit der Jugendberatungsstelle Basel sei zudem eine Art Weiterbildung für die Funktion als «Götti» oder «Gotte» geplant. «Damit die Mentorinnen und Mentoren nicht überfordert sind, benötigen sie eine fachliche Begleitung.» In der Unterstützung von Careleaverinnen und Careleavern bereits gut bewährt hätten sich, so Perez, neben einem Whatsapp-Chat vor allem auch die halbmonatlich stattfindenden Netzwerktreffen. «Der Spassfaktor steht hier imVordergrund, zudem lassen sich ungezwungen Kontakte knüpfen und auch praktische Tipps abholen.» Infos zum Careleaver Netzwerk Basel: ➞ https://www.careleaver.ch/ careleaver-basel «Es tut gut, mit jemandem reden zu können, der sich in meine Situation hineinversetzen kann. Kolleginnen und Kollegen haben Mitleid, können aber nicht nachfühlen.» Angela Im Fokus
RkJQdWJsaXNoZXIy MTY2NjEzOQ==