ARTISET 12 I 2022 35 Das KZU, das Kompetenzzentrum Pflege und Gesundheit mit mehreren Einrichtungen im Zürcher Unterland, darf seit vier Jahren die Auszeichnung «Prädikat UND» tragen. Das Prädikat der Fachstelle UND zeichnet Unternehmen und Organisationen aus, «die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie die Gleichstellung von Mann und Frau in Strategie, Struktur und Kultur verankert haben, über ihre internen Prozesse aktiv fördern und so ein definiertes Qualitätsniveau (Best Practice) erreichen». So steht es in den Bedingungen der Fachstelle. Bei rund 600 Mitarbeitenden, die im KZU angestellt sind, kein einfaches Unterfangen. Aber es sei möglich, sagt Marianne Niederer, Leiterin Personalentwicklung im KZU. «Doch am Anfang steht das Wollen.» Und ein erster Schritt. «Wesentlich und Initialzündung bei uns war, dass wir vor zwanzig Jahren die Kindertagesstätte eingerichtet haben», sagt André Müller. Müller ist der CEO des KZU. Und er kann heute auf ein gut ausgebautes Vereinbarkeitskonzept seines Unternehmens verweisen. «Natürlich», sagt er, «geht es bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben noch immer zumeist um die Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben.» Doch man wolle zum Beispiel auch ermöglichen, dass die Angestellten neben ihrem Beruf die nötige Zeit haben, wenn sie etwa einen Angehörigen pflegen und betreuen. «Es geht generell um die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf.» So solle auch jemand, der sich in einem Verein engagiere oder der ein Hobby pflege, für das er Zeit und Idealismus einsetze, im Unternehmen so disponiert werden, dass ihm oder ihr das möglich werde. «Dies braucht Diskussionen, Ideen und in den Pflegegruppen die Bereitschaft, auf Bedürfnisse und Wünsche einzugehen», sagt Marianne Niederer. «Ein Wunschkonzert ist der Vereinbarkeitsanspruch nicht», sagt André Müller. Gefordert seien von allen Involvierten grosse Flexibilität und Gemeinsinn. «Meist findet man nämlich eine Lösung, die für alle tragbar ist.» Früher war die Vereinbarkeit von Beruf- und Familienleben kaum ein Thema. Die traditionelle Kleinfamilie hatte einen Ernährer – den Vater – und eine Haushalt- und Kinderbetreuerin – die Mutter. Der Mann arbeitete auswärts, die Frau zu Hause. Das hat sich in den letzten 20, 30 Jahren stark verändert. Heute ist das klassische Fünf-Tage- und 42-Stunden-Beschäftigungsmodell längst nicht mehr Standard im Arbeitsalltag vieler Menschen. Immer mehr Menschen würden gerne weniger Zeit mit Erwerbsarbeit verbringen und damit mehr Zeit für Familie, Freizeit und Regenerierung haben. Modern ausgedrückt: zu einer ausgeglichenen Work-Life-Balance kommen. Herausforderung Pflegeberufe Wie kann das möglich gemacht werden? Gerade in den Pflege- und Betreuungsberufen scheint es schwierig, diese Balance hinzubekommen. Dass viele Beschäftigte in den Gesundheitsinstitutionen wieder aussteigen, scheint ein Beleg für diese Schwierigkeit zu sein. «Die Pflege gehört zu jenen Branchen, in der die Herausforderung in der Tat grösser ist, was die zeitlichen Gestaltungsmöglichkeiten angeht», sagt Fabian Leuthold von der Fachstelle UND. «Pflegeinstitutionen sind nicht zu vergleichen mit Produktionsbetrieben. Zuerst einmal muss eine Pflege rund um die Uhr sichergestellt werden. Da stellen sich andere Anforderungen an die Präsenz der Mitarbeitenden. Anders als in einem Unternehmen, das ein Produkt herstellt, duldet die Pflege keine Unterbrüche. Da sind die Herausforderungen tatsächlich gross.» Doch es sei möglich: «Vereinbarkeit hat nämlich nicht nur mit der Arbeitszeit zu tun, Vereinbarkeit hängt auch von anderen Faktoren ab: Gibt es etwa eine instrumentelle Unterstützung für die Anliegen der Mitarbeitenden? Da denkt man zuerst natürlich an eine Kindertagesstätte. Aber wie steht es mit der Spitex-Unterstützung für Angestellte, die Angehörige pflegen und betreuen? Es genügt nicht, nur am Arbeitszeitmodell zu schrauben, sondern man muss Wie können Berufs- und Privatleben befriedigend unter einen Hut gebracht werden? Gerade bei der Arbeit in einer Pflegeinstitution scheint dies besonders schwierig. Doch es gibt Möglichkeiten – wenn man denn will. Von Urs Tremp
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