ARTISET 12 I 2023 25 Umfassendes Verständnis von Pflegequalität NIP-Q-Upgrade soll dazu beitragen, so Draganescu, dass die Erhebung der nationalen medizinischen Qualitätsindikatoren nicht als «unangenehme Pflicht» wahrgenommen wird. Der Pflegewissenschaftler fühlt sich dabei einem umfassenden Verständnis von Pflegequalität verpflichtet: «Es gibt einen fachlichen Konsens, dass sich Pflegequalität nicht nur auf Zahlen respektive quantitative Daten reduzieren lässt, sondern vielmehr multifaktoriell zu verstehen ist.» Draganescu betont ganz besonders die Bedeutung der Vertrauens- und Beziehungsarbeit. Zur Pflege gehören für ihn deshalb zwingend die Betreuung und die Erhaltung der Lebensqualität. Dies bedeute auch, dass man aufgrund der Indikatoren nicht einfach auf gute oder schlechte Pflegequalität schliessen dürfe. Die Daten der Indikatoren können aber sehr wohl Hinweise auf gewisse Probleme sein. «Es ist deshalb wichtig, genau hinzuschauen und nach Erklärungen für schlechte oder auch gute Indikatorergebnisse zu suchen.» Um einen fortlaufenden Optimierungsprozess einzuleiten, sei dabei eine regelmässige Auseinandersetzung mit den Indikatorergebnissen erforderlich, wie Draganescu betont. In den Häusern der Residio AG finden neben Befragungen von Bewohnenden, Angehörigen sowie Mitarbeitenden denn auch regelmässige Auswertungen der medizinischen Qualitätsindikatoren statt. Zusätzlich zu den sechs nationalen Indikatoren im Bereich der vier Messthemen Mangelernährung, bewegungseinschränkende Massnahmen, Polymedikation und Schmerz betreffen diese Auswertungen vier weitere, nur intern erhobene Indikatoren: Medikamentenfehler, Stürze, Dekubitus sowie Aggressionsereignisse. Fachforen mit dem Pflegefachpersonal Seit das Pflegeexpertise-Team rund um Sever Draganescu in der Residio AG tätig ist, finden diese Auswertungen auf mehreren Ebenen statt: Jeweils Anfang Jahr erfolgt zuhanden der Geschäftsleitung eine Auswertung über das letzte Jahr hinweg. «In einem Qualitätsbericht interpretieren und plausibilisieren wir die Kennzahlen und leiten daraus Empfehlungen sowie konkrete Massnahmen ab.» Dass die Pflegeentwicklung zuhanden des obersten Kaders Massnahmen formulieren darf, sei keine Selbstverständlichkeit, sagt Draganescu. Die Empfehlungen und Massnahmen können beispielsweise neue Hilfsmittel betreffen oder auch Verbesserungen bei der Infrastruktur. Ab dem kommenden Jahr will der Pflegeexperte diesen Qualitätsbericht auch gemeinsam mit dem Pflegefachpersonal besprechen. «Wenn die Pflegenden feststellen können, dass mit den Zahlen etwas geschieht und wir konkrete Verbesserungen einleiten können, dann erleben sie die Erfassung der Zahlen als sinnvoller.» Um den Pflegenden aufzuzeigen, wie man die Indikatoren sinnvoll für die tägliche Arbeit nutzen kann, erarbeitet das Pflegeexpertise-Team zudem monatliche Auswertungen der Kennzahlen und stellt diese, ergänzt mit einer ersten Interpretation, den Pflegeteamleitungen zu. Diese analysieren mit den Pflegefachpersonen die Zahlen an monatlich stattfindenden Fachforen und geben Empfehlungen ab. «Wir konnten auf diese Weise bereits Auffälligkeiten erkennen und Verbesserungen einleiten.» Und: «Durch die monatlichen Überprüfungen lässt sich dann auch die Wirkung von Massnahmen rasch erkennen.» Kritik an der Erhebungspolitik Solche Erfolge führen dazu, dass innerhalb der Pflegeteams die Überzeugung wächst, dass die Erfassung der Kennzahlen einen Mehrwert bedeutet. Neben dem obersten Kader spürt Draganescu gerade auch die Unterstützung durch die Pflegeteamleitungen. Ein Dämpfer für all diese Bemühungen ist gemäss Draganescu aber die Erhebungspolitik der nationalen Indikatoren. Wie einige andere Institutionen auch erfasst die Residio AG aus Gründen der Effizienz sämtliche Pflegeleistungen sowie die Daten für die internen und auch die nationalen Qualitätsindikatoren mit einem Pflegedokumentationssystem und nicht über eines der beiden in der Deutschschweiz üblichen Bedarfserfassungsinstrumente Besa oder Rai. Das aber bringt zum einen bei der Übermittlung der Daten für die nationalen Indikatoren an das zuständige Bundesamt einen Mehraufwand mit sich: Statt diese gleichsam automatisch verschicken zu können, müssen diese aus dem Pflegedokumentationssystem herausgezogen und in eine Excel-Liste übertragen werden. Zum anderen dürfen die Anbieter der Pflegedokumentationssysteme gewisse der zur Vergleichbarkeit der Indikatoren wichtigen Daten für die Risikoadjustierung nicht implementieren. Für Draganescu ist klar: Es braucht gleich lange Spiesse für die Pflegedok-Anbieter. «Denn mit der heutigen Einschränkung entfällt die Möglichkeit, dass wir unsere Zahlen mit den Zahlen anderer Institutionen unkompliziert vergleichen können.» Solche partnerschaftlichen Vergleich erachtet er indes als sehr sinnvoll. Im Fokus «Es ist wichtig, genau hinzuschauen und nach Erklärungen für schlechte oder auch gute Indikatorergebnisse zu suchen.» Sever Draganescu, Bereichsleiter Pflegeentwicklung
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