40 ARTISET 12 I 2023 fundamentalen Rechten der Schweizer Bürgerinnen und Bürger, abstimmen und wählen zu können.» Schliesslich folgte eine Zehnergruppe der PTA-Heimbewohnerinnen und -bewohner der Einladung am 18. September ins Bundeshaus, wo sie auf der Zuschauertribüne die Ratsdebatten verfolgten und sich mit alt Ständerat Hans Stöckli zu einer Diskussion trafen. «Diese Begegnung hat mir sehr gut gefallen, ich würde wieder daran teilnehmen», sagt Gianna Dietz (36). Und Pia Schneeberger (59) erinnert sich, wie sie bei der Begegnung mit Stöckli immer noch mit der Erhöhung des Rentenalters für Frauen haderte. Mehr behindertengerechte Einrichtungen Was an diesem einstündigen Gespräch auffällt, sind nicht nur die Fragen zum gesellschaftlichen Leben. Die Teilnehmenden zeigen auch offen, wo sie sich mehr Engagement in der Gesellschaft wünschen und in welchen Gebieten sie sich benachteiligt fühlen. Pia Schneeberger, die in der Betriebsküche des PTA-Wohnheims tätig ist, echauffiert sich über ihre sommerlichen Ausflüge nach Biel: «Es gibt in der Stadt kaum Invaliden-WCs, und auch die Trottoirs sind bei Weitem nicht alle rollstuhlgängig.» Sie spreche aus Erfahrung. Ohne eine geeignete Toilette gefunden zu haben, habe sie warten müssen, bis sie wieder zu Hause war. In Twann, so stellt sie befriedigt fest, sei man endlich daran, den Bahnhof behindertengerecht umzubauen. «Mir geht es vor allem um die UN-Behindertenrechtskonvention, welche die Schweiz noch nicht umgesetzt hat, obschon sie 2014 das Abkommen unterzeichnet hatte», begründet Stefan Haldimann seine politische Motivation. Darüber hätten sie in der Werksiedlung Renan im Berner Jura gesprochen und gefordert, dass alle Menschen gleichermassen teilhaben sollen an der Arbeit, beim Wohnen und eben auch in der Politik. 30 Jahre hatte Haldimann in Renan gelebt, bevor er vergangenen Sommer ins PTA-Wohnheim nach La Neuveville umzog. Heime sollten in der Öffentlichkeit präsent sein Die politische Forderung der Teilhabe erhält für Pia Schneeberger eine wichtige Bedeutung im Hinblick auf das geplante Dorfprojekt PTA-Village, wo dereinst Wohnraum, Arbeitsplätze und Freizeitangebote für Menschen mit und ohne Behinderung entstehen sollen. «Alle Heime», so Schneeberger, «sollten für solche Anliegen mehr Gewicht erhalten und mehr in der Öffentlichkeit präsent sein.» Schliesslich dreht sich die Diskussion um die Möglichkeiten, mitzubestimmen. Das Leben im Wohnheim PTA («Pfadi trotz allem») mit seinen Wurzeln in der Pfadfinderbewegung bringt es mit sich, dass ein grosser Teil der Bewohnenden Umweltanliegen als wichtig empfindet. Enttäuschungen in dieser Hinsicht musste Heinz Wüthrich schon in den 80er Jahren erfahren. Damals hätte sich Biel zweimal für den Seeuferweg Beau-Rivage ausgesprochen. Dann sei lange nichts passiert. Für ihn war alsbald klar: «Die machen sowieso, was sie wollen, und ich bin nicht mehr abstimmen gegangen.» Am nationalen Wahlsonntag im Oktober hat er einen neuen Anlauf genommen und Barbara Schwickert – leider vergeblich – die Stimme gegeben. Wachsendes Interesse Von Unmut gegenüber der Politik ist nach bald einer Stunde aber nichts zu spüren. «Wann sind die Wahlen, um den Berset abzulösen?», wirft Schneeberger in die Runde. «Am 13. Dezember», sagt jemand. «Wieso können wir hier nicht wählen?», fragt Wüthrich und schlägt vor: «Der Bundesrat sollte an der Landsgemeinde vom Volk gewählt werden.» Wie dem auch sei, vor jeder Abstimmung wünschen sich die Teilnehmenden die Vorbereitung im internen Wahlstudio. Einen Stimmungsumschwung zugunsten von Abstimmungen hat Haldimann erlebt. Da er in der internen Ausbildung als Hauswartassistent gefordert ist, liess er seine Abstimmungs- und Wahlunterlagen zurückstellen in der Meinung, die politische Auseinandersetzung würde ihn neben der Ausbildung überfordern. Jetzt möchte er die Unterlagen wieder erhalten. Quasi als Seismograf der Stimmung an diesem politischen Austausch erweist sich Gianna Diez. Weil sie sich an der Diskussion nicht beteiligen wollte oder konnte, gibt sie anfänglich zu verstehen, sich unwohl zu fühlen. Doch verlassen will sie die Runde nicht. Wohl auch, weil die Argumente vertieft werden und die vier Debattierenden nach und nach zu immer pointierteren Stellungnahmen finden. «Wollt ihr vor den nächsten Abstimmungen und Wahlen wiederum in einer heiminternen Austauschrunde mitmachen?», fragt Heimleiter Widmer. «Mich würde es wieder interessieren», antwortete Dietz prompt, und unisono lautete die Meinung: «Im Heim jedes Mal ein Wahlstudio, das wird sicher nicht langweilig.» «Wir sind zwar nicht dazu verpflichtet, aber es gehört zu den fundamentalen Rechten der Schweizer Bürgerinnen und Bürger, abstimmen und wählen zu können.» Stefan Haldimann, Bewohner des PTA-Wohnheims
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