Dezember I 2024 7 Grundlagen und Stellungnahmen Viele ältere Menschen brauchen Unterstützung im Alltag. Oft geht es dabei um das Aufrechterhalten von sozialen Kontakten, um ihr Sicherheitsgefühl und das psychische Wohlbefinden, lange bevor sie auf Pflege angewiesen sind. Hier setzt die psychosoziale Betreuung an. Doch was ist darunter zu verstehen? Und wie kann das Potenzial der Betreuung besser genutzt werden? Von Gaby Wyser und Miriam Wetter (Paul Schiller Stiftung) Die gängige Wahrnehmung des Alters ist von Defiziten geprägt: Weil die körperliche und geistige Verfassung nachlässt, erfahren ältere Menschen mehr und mehr Einschränkungen. Ihr Bewegungskreis wird kleiner, ihre sozialen Kontakte nehmen ab. Sie benötigen für diese und jene alltägliche Handlung Unterstützung. Mit Therapien wird versucht, Einschränkungen hinauszuzögern. Doch dieser Unterstützungsansatz greift zu kurz. Der alternde Mensch muss als Ganzes betrachtet werden – in allen Lebensbereichen und der ganzen Vielschichtigkeit eines jeden Menschen: mit seiner Lebensgeschichte, seinen Erfahrungen, Stärken, Interessen. Nebst der körperlich-geistigen Verfassung ist das Augenmerk deshalb genauso auf das soziale Umfeld, den kulturellen Hintergrund und die wirtschaftliche Situation zu richten. Was sind Stärken und Ressourcen, die der ältere Mensch nutzen und einbringen kann? Was sind Einschränkungen und Schwierigkeiten, die zu beachten sind? Psychosoziale Betreuung wirkt Gehen wir von einem ressourcenorientierten Altersbild aus, ist Altwerden viel mehr, als nicht zu stürzen oder einen sauberen Haushalt zu haben. Es geht darum, befriedigende, alltagsstrukturierende Aktivitäten zu ermöglichen und Mut zu machen. Ältere Menschen sollen ihre Lebenskompetenzen, ihre Selbstbestimmung und soziale Teilhabe erhalten und stärken können, auch wenn sie auf Unterstützung angewiesen sind. An dieser Zielsetzung orientiert sich gute Betreuung im Alter. So trägt sie dazu bei ■ die psychische Gesundheit und die Selbstbestimmung zu fördern ■ die Lebensqualität zu verbessern ■ soziale Isolation, Einsamkeit und Verwahrlosung zu verhindern. Es ist nicht von der Hand zu weisen: Dank guter Betreuung wird die Autonomie von älteren Menschen gefördert, Heimeintritte werden hinausgezögert oder vermieden, und es wird gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorgebeugt – bei DER FOKUS DIESES HEFTS Lange war «Betreuung» ein unklar verwendeter Begriff. Heute liegen wissenschaftlich fundierte Definitionen vor, die mit Fachleuten aus der Praxis entwickelt und konkretisiert worden sind. Eine vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) 2023 herausgegebene Studie definiert Betreuung wie folgt: «Betreuung im Alter unterstützt ältere Menschen, ihren Alltag selbstbestimmt zu gestalten und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, wenn sie das aufgrund der Lebenssituation und physischer, psychischer und/oder kognitiver Beeinträchtigung nicht mehr gemäss ihren Vorstellungen selbständig können.» In der Studie werden vier Eigenschaften genannt, die eine qualitativ gute Betreuung auszeichnen: personenzentriert, umfassend, koordiniert, zugänglich. Das vorliegende Heft beleuchtet, welch hohen Wert eine «koordinierte Betreuung» für die älteren Menschen und die Gesellschaft hat und wie sie realisiert werden kann. Wegen ihrer Ausrichtung auf die psychische und soziale Gesundheit ist heute die Rede von psychosozialer Betreuung. Diese nimmt älteren Menschen nicht einfach Aufgaben im Alltag ab und sorgt für eine effiziente Erledigung. Gute Betreuung zielt vielmehr darauf ab, dass die älteren Menschen ihr Können und ihre Fähigkeiten (wieder) einsetzen und stärken, Neues erlernen und Beziehungen pflegen. Die Studie: Betreuung im Alter – Bedarf, Angebote und integrative Betreuungsmodelle. Büro BASS, 2023, im Auftrag des BSV.
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