ARTISET 01/02 I 2024 43 Die Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) – sie befindet sich zurzeit in Vernehmlassung – sorgt unter den Betroffenen für heisse Diskussionen. Die Revision schlägt Änderungen in folgenden Bereichen vor: Bund und Kantone müssen Menschen mit Behinderungen bei Massnahmen einbeziehen, die sie vorsehen, um Benachteiligungen auszuschliessen oder zu verringern. Bei Dienstleistungen und in der Arbeit dürfen Menschen mit Behinderungen nicht diskriminiert werden. Arbeitgebende müssen dazu angemessene Vorkehrungen treffen. Gegen Diskriminierung können die betroffenen Personen gerichtlich vorgehen. Bei diesen Verfahren kommt eine Beweiserleichterung zur Anwendung und sie sind unentgeltlich. Zudem sieht die Revision vor, die Gebärdensprache in den drei Landessprachen anzuerkennen und zu fördern. Zur Diskussion über die Teilrevision im Bereich der Arbeit hat das Magazin Artiset seitens der Betroffenen Herbert Bichsel eingeladen, Co-Präsident von Sensability, und seitens der Bundesbehörde Urs Germann, Mitarbeiter des Eidgenössischen Büros für Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB). Sensability setzt sich zum Ziel, Menschen ohne Behinderungen zu sensibilisieren und aufzuklären, wie sie Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang ohne Hindernisse ermöglichen können. Bichsel ist seit dem 26. Altersjahr wegen Multiple Sklerose auf den Rollstuhl angewiesen und hat nach seiner Erkrankung auf dem zweiten Bildungsweg ein Philosophiestudium abgeschlossen. Der Historiker Urs Germann ist seit 2020 EBGB- Mitarbeiter im Departement des Innern für das Schwerpunktprogramm Arbeit und die Anerkennung und Förderung der Gebärdensprache. Germann ist seit Geburt hörbehindert und verständigt sich über ein Cochlea- Implantat. Bichsel wie Germann sind sich darüber einig, dass die vorgeschlagenen Änderungen in der Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes allein nicht ausreichen. Es brauche dazu ein geändertes Bewusstsein und neue Instrumente. Wie im November 2023 an der nationalen Fachtagung «Der inklusive Betrieb» vom Branchenverband Insos breit vorgestellt wurde, sind aufklärende Massnahmen wichtig, um Arbeitgebende zu sensibilisieren, um Hürden für Menschen mit Behinderungen abzubauen und sie in ihren Betrieben einzustellen. Für Bichsel ist klar, dass Institutionen und Betriebe im ergänzenden Arbeitsmarkt, eine wichtige Aufgabe bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Herr Bichsel, finden Sie in der vorgeschlagenen Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes Aussagen zur Arbeitswelt, die Sie gut und wichtig finden? Herbert Bichsel: Lasse ich mich von der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) leiten, die vorgibt, wie Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft einzubeziehen sind, dann ist die Arbeit zwar ein zentraler, aber nur ein Teil davon. Die Teilrevision gibt dazu einen kleinen Schritt vor, sie ist letztlich aber völlig ungenügend. Können Sie sich hinter die Verpflichtung stellen, dass Bund und Kantone Menschen mit Behinderungen einbeziehen müssen, wenn es gilt, entsprechende Massnahmen einzuleiten? Bichsel: Das ist sicher richtig, denn der Einbezug ist eigentlich das Herzstück der UN-BRK. Nur stellt sich die Frage, wie dies geschieht. Für den Entwurf der Teilrevision ist es gerade nicht geschehen. Menschen mit Behinderungen wurden dazu nicht eingeladen. Der Sinn der UN-BRK wurde also nicht verstanden, nämlich dass ein Gewinn entsteht, wenn Menschen mit Behinderungen einbezogen werden. Urs Germann: Diesen Vorwurf müssen wir zur Kenntnis nehmen. Immerhin wird der Einbezug von Menschen mit Behinderungen nun klar im Gesetz verankert. Das Behindertengleichstellungsgesetz ist ein klassisches Antidiskriminierungsgesetz. Es verbietet Diskriminierungen und sieht auch positive Massnahmen vor, um Barrieren abzubauen. Die vorgeschlagene Teilrevision ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg. Gesetz und Revision stellen Leitplanken auf. Sind konkrete Massnahmen in den vom Bundesrat lancierten Schwerpunktprogramme «Arbeit» des EBGB zu finden? Germann: Das Schwerpunktprogramm Arbeit sieht hierzu drei Stossrichtungen vor. Erstens sollen private ARBEITGEBERVERBAND: ASSISTENZMODELL STÖSST AUF OFFENE OHREN Der Vorschlag einer Arbeitsassistenz zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen stösst beim Arbeitgeberverband auf Gehör. Barbara Zimmermann, Leiterin Sozialpolitik und Sozialversicherungen, meint dazu: «Ein Assistenzmodell auch auf den Arbeitsmarkt anzuwenden, tönt interessant.» Jedoch müssten die Eckwerte des Modells mit allen Beteiligten besprochen und geprüft werden. Aus Sicht des Arbeitgeberverbandes wäre die Arbeitsassistenz über die IV-Leistungen zu finanzieren. Zum Entwurf der Teilrevision des Behindertengleichstellungsgesetzes will sich der Arbeitgeberverband zurzeit nicht äussern, da die Vernehmlassung bei seinen Mitgliedern noch nicht abgeschlossen ist.
RkJQdWJsaXNoZXIy MTY2MjQyMg==