Gesund und lustvoll essen Magazin ARTISET 1-2024

ARTISET 01/02 I 2024 47 Gesundheitsfachpersonen und Betroffenen ergaben, dass viele Menschen und ihre Angehörigen unsicher sind, ob und wann sie zur Ärztin oder zum Arzt gehen oder sich psychologische Unterstützung holen sollen. Tendenziell wird heute eher zu früh ein ärztlicher Dienst aufgesucht. Um hier wieder eine bessere Balance zu finden, den Menschen Sicherheit zu geben und das Gesundheitswesen zu entlasten, wäre es hilfreich, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung gezielt zu stärken, zum Beispiel in der Schule, während der Mütter- und Väterberatung, aber auch im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. «Beispiele und Ansätze hierfür sind vorhanden, es fehlt jedoch eine gezielte, flächendeckende Umsetzung und Institutionalisierung», fasst Alain di Gallo die Situation zusammen. Er berichtet vom Projekt «Irre normal», in dessen Rahmen ein Dreierteam – bestehend aus einer betroffenen Person (Peer), einer Mitarbeitenden vom Schulpsychologischen Dienst und jemandem von der Kinder- und Jugendpsychiatrie – Sekundarschülerinnen und -schüler aufklärt und Fragen beantwortet zum Thema psychische Gesundheit. Die Pädagogin und Expertin aus Erfahrung Patrizia Gisler erklärt, dass ihr genau das sehr geholfen hätte in ihrer Jugend. Sie macht sich dafür stark, dass bereits in der Unter- und Mittelstufe mit Kindern über Emotionen und den gesunden Umgang damit gesprochen wird. Dies würde Kindern helfen, Gefühle einzuordnen und zu erkennen, wie sie sich Hilfe holen können, zum Beispiel bei einer Heilpädagogin oder später bei einer Freundin. Bildungsmassnahmen zeigen Wirkung Auch im Bereich körperliche Gesundheit liesse sich noch einiges tun. Christine Fischer, die als Oberärztin auf dem Notfall des GZO Wetzikon arbeitet, erklärt es so: «Wir merken immer wieder, dass kranke und gesunde Menschen bei Gesundheitsfragen verunsichert sind und dann beispielsweise mit Bagatellfällen in den Notfall kommen, Fieber nicht einordnen können oder Angst haben, Schmerzmittel einzunehmen.» Mit geeigneten Bildungsmassnahmen liesse sich die Situation entschärfen, ist sie überzeugt und nennt das Beispiel der Schulzahnpflegeinstruktorinnen und -instruktoren, das belege, wie wirksam solche Massnahmen seien, denn heute sei die Zahl der Kinder mit schlechten Zähnen auf einem tiefen Niveau. Dazu komme, dass viele Zugezogene ein anderes Gesundheitswesen kennen würden. Es gehe darum, zu vermitteln, dass es in der Schweiz verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten gebe bei leichten Fällen und beispielsweise die Apothekerinnen und Apotheker oder die Drogistinnen und Drogisten sehr gut ausgebildet und die Telefonberatungen auf einem guten Niveau seien. Ein Knackpunkt sind die sozialen Medien «Psychische Belastungen äussern sich unterschiedlich bei Mädchen und Jungen», erklärt Alain di Gallo. Mädchen seien präsenter in den sozialen Medien, hätten häufiger nach innen gerichtete Probleme, könnten aber besser über ihre Gefühle sprechen. Die Knaben wiederum würden eher gamen, auffällig werden in ihrem Verhalten und seien psychiatrisch weniger präsent. Sowohl bei den sozialen Medien als auch beim Gamen spiele das Handy eine wichtige Rolle, das generell immer mehr zum «outgesourcten Hirn» werde, sprich, man habe das Gefühl, man wisse etwas, aber wenn das Gerät weg sei, merke man, dass das Wissen gar nicht vorhanden sei. Zudem sei immer stärker zu beobachten, dass Jugendliche, aber auch die Erwachsenen ohne Berieselung nicht mehr zur Ruhe kommen würden. Alain di Gallo plädiert deshalb stark für Zeiten ohne Medien – nicht nur für die Kinder. Allerdings sei es wichtig, für diese Zeit dann auch etwas anzubieten, wie beispielsweise Sport oder einen gemeinsamen Spielabend. Das, was gut läuft, nicht aus den Augen verlieren Vor lauter Negativbotschaften übersieht man häufig das Naheliegende, nämlich dass vieles gut läuft. So haben 80 Prozent der jungen Menschen normale Probleme, meistern ihre Herausforderungen und Krisen, gehen ihren Weg und benötigen keine spezielle Hilfe. Und Alain di Gallo ergänzt: «Trotz sehr knapper Ressourcen ist es uns gelungen, die Notfall- und Krisensituationen in den meisten Fällen rechtzeitig zu behandeln, auch wenn der Aufwand dahinter riesig war.» Patrizia Gisler erklärt, es gehe immer auch darum, die kleinen Fortschritte zu sehen. Für Alain Di Gallo ist es ganz einfach: «Zuversicht ist unsere Haltung, sonst können wir nicht mehr arbeiten.» Allerdings müsse sich auch etwas bewegen im System, damit nicht immer wieder alle am Anschlag seien. Patrizia Gisler ihrerseits findet es wichtig, sich zu engagieren, damit die Gesellschaft und andere Betroffene mit psychischen Erkrankungen besser umgehen können: «Meine Öffentlichkeitsarbeit mit Zeta-Movement in Form von Interviews, Podcasts und Zeitungsartikeln finden Menschen in der gleichen Situation stark, weil dies dem Stigma und den Tabus entgegenwirkt.» * Nicole Fivaz ist Leiterin Geschäftsstelle Tag der Kranken «Wenn wir selbst auf unsere Gesundheit und unsere seelische Balance achten, tun wir etwas Gutes für unsere Kinder.» Alain di Gallo, Chefarzt der psychiatrischen Klinik für Kinder und Jugendliche in Basel

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