Magazin ARTISET | 3 2022
ARTISET 03 I 2022 15 Das Areal liegt an einer schönen Lage von Zürich, inmitten einer grünen Par- kanlage, eingebettet in das Quartier Albisrieden und gut mit dem öffentli- chen Verkehr erschlossen: ein idealer Ort zum Wohnen im Alter. Das fand auch der Verein Queeraltern, der schon lange Wohnraum suchte, in dem sich ältere lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intergeschlechtliche und queere (LGBTIQ) Menschen wohlfühlen kön- nen. Vor drei Jahren fragte der Verein bei der Stadt an, um endlich erschwing- lichenWohnraum zu finden. Und siehe da: Die Stadt plante just zusammen mit der Stiftung für Alterswohnungen der Stadt Zürich (SAW) auf dem Areal Espenhof eine neue, vielfältige Siedlung mit 135 Wohnungen und war bereit, demVerein eines der drei neuenWohn- häuser, die dort bis 2025 entstehen, anzubieten. Vielfältiges Miteinander Es passte schon fast zu gut: Im Espen- hof hatte die Stiftung für Alterswoh- nungen vor 72 Jahren schon einmal ein Pionierprojekt lanciert, dort konnten erstmals ältere Menschen selbstständig in preisgünstigen Wohnungen leben und soziale und pflegerische Dienstleis- tungen nach Bedarf in Anspruch neh- men. Jetzt hat im Espenhof ein neues Pilotprojekt Platz gefunden, diesmal für ein vielfältiges Zusammenleben von queerenMenschen ab 60 Jahren, alters- gerecht, schwellenlos, rollstuhlgängig. Das queere Wohnhaus mit den 26 Wohnungen und drei Pflegewohngrup- pen ist das erste Angebot dieser Art in der Schweiz, und Queeraltern entwi- ckelt das Projekt gemeinsam mit der Stadt. «Der Vielfalt queerer Biografien und Bedürfnisse wird Raum gegeben und ein Klima der gegenseitigen Akzep- tanz und Anerkennung geschaffen», heisst es dazu auf der Homepage des Vereins. «Individuelle Lebensformen und sorgende Community werden sich ergänzen.» So sollteWohnen im Alter allerdings ohnehin funktionieren. Ob separater Wohnraum für queere Menschen des- halb nicht langsam überflüssig wird? Christian Wapp, stellvertretender Prä- sident des Vereins Queeraltern, schüt- telt den Kopf. «Viele Schwule, Lesben, Nonbinäre und trans Menschen sind heutzutage nicht mehr bereit, sich zu verstellen oder zu verstecken – das soll sich im Alter nicht ändern. Sie möchten sich in einer Altersinstitution nicht wie ein Alien fühlen. Und sie haben es satt, sich ständig aufs Neue outen zu müs- sen.» Sich anziehen, wie manfrau Lust hat, und nicht, wie es die Regeln der Konformität vorschreiben. Auch als al- ter Mann die Zimmerwände mit sexy Bildern vonMännern dekorieren. Oder als alte Frau die Partnerin küssen, ohne abwertende Blicke vom Pflegepersonal einzufangen: Das alles sei auch heute noch alles andere als selbstverständlich. Sogar Wapp, der seine Homosexualität bisher in seinemUmfeld als eher repres- sionsfrei erlebt hat, erfährt noch heute im Alltag spitze Abwertungen à la «Du siehst ja gar nicht so schwul aus!» oder «Also solche Schwule wie du sind mir ja schon sympathisch, aber tuntiges Ge- habe mag ich dann gar nicht». Christi- an Wapp ist sich bewusst, dass diese Bemerkungen vielen auf den ersten Blick harmlos scheinen. Aber das seien sie nicht: «Sie decken ungewollt auf, wie tief Homonegativität in unserer Gesell- schaft noch sitzt.» Er ist froh, dass es sich heute zumindest nicht mehr ge- hört, sich offen über queere Menschen auszulassen, aber letztlich genüge es nicht, sich vordergründig tolerant zu zeigen: «Wir wollen Akzeptanz.» Nicht «zurück in den Schrank» Er blickt in die ersten Frühlingssonnen- strahlen und sinniert. Für ihn sei der Gedanke an Pflegebedürftigkeit trotz seiner 71 Jahre noch fern, sagt er dann. Dennoch ist nicht nur für ihn klar: «Ein quasi offiziell vielfältiger Wohnraum ohne Abwertung und Diskriminierung, stattdessen geprägt von Akzeptanz und Offenheit, ist für alte und pflegebedürf- tige Menschen dringend nötig.» Max Krieg vom nationalen Dachver- band der schwulen und bisexuellen Männer, Pink Cross, sprach in einem Interview mit Gesundheitsförderung Schweiz Klartext: «Sowohl in der Ge- sundheitsversorgung als auch in der Gesundheitsförderung sind wir noch lange nicht an einem Punkt, wo «Viele Schwule, Lesben, Nonbinäre und trans Menschen sind heut- zutage nicht mehr bereit, sich zu verstellen oder zu verstecken – das soll sich im Alter nicht ändern.» Christian Wapp, stellvertretender Präsident Verein Queeraltern VIELFÄLTIGER ESPENHOF NORD Die alten Gebäude imNorden der Sied- lung Espenhof werden demnächst ab- gerissen und durch drei grosszügige Neubauten ersetzt. 135 neue 1½- bis 3½-Zimmer-Wohnungen entstehen dort, in einem der Wohnhäuser findet das Projekt «Espenhof – wir leben Viel- falt!» seine Heimat: 26 Wohnungen und ein Grossteil der 24 Plätze in den drei Pflegewohngruppen sind reserviert für Angehörige der LGBTIQ-Community. Es ist schweizweit das erste Wohnhaus dieser Art und erlaubt, fliessend von selbständigem Wohnen bis zur statio- nären Pflege in Pflegewohngruppen in einer vorurteilsfreien Gemeinschaft äl- ter zu werden. Wer als queerer Mensch im Espenhof leben möchte, muss über 60 Jahre alt und mindestens zwei Jah- re in Zürich wohnhaft gewesen sein, muss aber nicht zwingend Mitglied von Queeraltern sein. Entwickelt und betreut wird das Projekt Espenhof von der Stiftung für Alterswohnungen der Stadt Zürich, den Gesundheitszentren für das Alter der Stadt Zürich sowie dem Verein Queeraltern. Das Ganze wird durch einen Zusammenarbeits- vertrag geregelt. Das Wohnprojekt ist eine der ersten Massnahmen der Altersstrategie 2035 der Stadt Zürich.
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