Magazin ARTISET | 3 2022

ARTISET 03 2022 19 Die Haustür steht offen, Jahn Graf erwartet uns bereits. «Kommt nur herein», ruft er uns zu. Und kaum haben wir seine Wohnung betreten, beginnen wir eine ungezwungene, beinahe freundschaftliche Unterhaltung, als ob wir uns längst kennen würden. Darauf angesprochen, meint er mit einem Schmunzeln: «Ja, es ist wohl ein Talent von mir, mit anderen unkompliziert ins Gespräch zu kommen.» Den Beweis dafür liefert gleichsam sein Gästebuch mit Einträgen von rund 150 Interviewpartnerinnen und -part- nern, mit denen sich Jahn auf seinem eigenen Youtube-Kanal «Jahns rollende Welt» seit 2016 über Themen aller Art unterhält. Über Kunst zum Beispiel: «Kunst ist das Einzige, was bleibt, Kunst ist das, was uns nährt.» Es geht auch um die Gesellschaft, um politische Themen, darunter um Fragen, die Menschen mit Behinderung betreffen. So breitgefächert wie das Spektrum seiner Themen, so vielfäl- tig sind seine Gäste. Kabarettistinnen wie Patty Basler oder Jane Mumford gehören dazu, Politikerinnen und Politiker, Selbstvertreterinnen und Selbstvertreter, bekannte Gesich- ter aus der Medienwelt, etwa Nik Hartmann oder Sandro Brotz, Fachpersonen aus dem Bereich Behinderung, Sport- lerinnen und Sportler, auch seine Eltern und seine Schwes- ter waren bei ihm zu Gast. «Einfach Menschen, die mich interessieren.» Seine Wohnung in Cham ZG wird für diese Interviews kurzerhand zum Filmstudio umfunktioniert. Der 31-Jähri- ge hat sich die dafür die nötigen Kompetenzen, die techni- schen und journalistischen, selbst angeeignet. Im «Freestyle»-Verfahren, wie er meint, mit viel Learning by Doing. «Ich pläuderle gerne», sagt er mit einem sympathischen Under- statement. «Schon in der Schule hatte ich ein grosses Rede- bedürfnis und ein Interesse an allem, was mich umgibt.» «Durch den Dialog entsteht Reibung und Wärme» Den Leuten gefällt, was sie vom «Rollstuhl-Youtuber» Jahn Graf hören und sehen. Die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten seines Youtube-Kanals hat über die Jahre lau- fend zugenommen. Rund 900 sind es mittlerweile. Er hat sich auch über diese Community hinaus längst einen Namen gemacht. Wie bereits während den Paralympics letzten Som- mer in Tokio moderierte er auch jetzt im März mit dem «Para-Graf 2022» das TV-Magazin von SRF zu den Para- lympics in Peking. Zudem wird er immer wieder für Podien angefragt, als Teilnehmer oder als Moderator. «Es läuft», würden Fussgängerinnen und Fussgänger sagen, «es rugelet», sagt der Rollstuhlfahrer. «Ich nehme sehr viel von dem, was ich höre, in mein Leben mit», antwortet Jahn Graf auf die Frage, was ihn an- treibt, sich immer wieder auf neue Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner einzulassen. Und: «Nur wenn man miteinander redet, gibt es auch ein Verständnis füreinander.» Dazu gehöre einander zuzuhören, offen zu sein für die Ar- gumente und die Weltsicht des Gegenübers, auch dann, wenn einem diese Welt zunächst fremd zu sein scheint. «Durch den Dialog entsteht Reibung und Wärme.» Mit dem Interesse an der Welt, die vis-à-vis von ihm sitzt, ist für Graf auch der Wunsch und die Hoffnung verbunden, dem oder der anderen seine Welt verständlich zu machen. Seinen Blick auf die Dinge, sein Leben als Mensch mit Be- hinderung, das Leben von Menschen mit Behinderung ganz generell. Das gelingt oft, aber nicht immer. Vor allem bei Politikerinnen und Politikern auf nationaler Ebene stelle er immer wieder fest, dass das Interesse und das Wissen um die Anliegen von Menschen mit Behinderung an einem kleinen Ort sind. «Die Interviews und Moderationen sind eine Möglich- keit, mich sichtbar zu machen», sagt er. «Nur die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung wird dazu führen, dass sie sich selbstverständlich in der Gesellschaft bewegen können.» Von einer diversen Gesellschaft könne man dann sprechen, wenn er «nicht mehr wie ein Tier im Zoo bestaunt» werde. Und: «Diversität ist dann erreicht, wenn der Zugang zu Events und Gebäuden barrierefrei gestaltet ist und das auch öffentlich kommuniziert wird.» Für ihre Sichtbarkeit seien Menschen mit Behinderung zu einem guten Teil auch selbst verantwortlich, betont Jahn Graf. «Integration und Inklusion ist immer ein Miteinan- der.» Es erfordere dabei Mut, hinauszugehen, denn man könne auch mal verregnet werden. Sein eigener Weg aber macht deutlich, dass sich aber immer wieder die Sonne zeigt. Der einstige Sonderschüler, der seinerzeit eine Ausbildung im geschützten Rahmen machte, die ihn kaum interessierte, hat mit viel Engagement sein Hobby zum Beruf gemacht. Und ganz wichtig für ihn: Es gelingt ihm immer besser, sein eigenes Geld zu verdienen und so schrittweise die IV-Rente zu reduzieren.   Jahn Graf empfängt in seiner Wohnung in Cham ZG seit sechs Jahren Menschen aus vielfältigen Lebenssituationen und unterhält sich mit ihnen über alles, was ihn und seine Gäste interessiert. «Nur wenn man miteinander redet, gibt es auch ein Verständnis füreinander», sagt er. Von Elisabeth Seifert Im Podcast zu hören: Ein Kurzinterview mit Jahn Graf zur Integration von Menschen mit Behinderung

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