Magazin ARTISET | 3 2022
ARTISET 03 I 2022 3 Editorial «Eine diverse Haltung entwickeln wir, indem wir uns immer wieder auf die Welt der anderen einlassen.» Elisabeth Seifert, Chefredaktorin Liebe Leserin, lieber Leser Seit Wochen ist die Fahne mit den Querstreifen in den Farben violett, blau, grün, gelb, orange und rot an Kund- gebungen gegen den Krieg in der Ukraine zu sehen. Als Anti-Kriegs-Symbol und als Zeichen für die Hoffnung und die Sehnsucht nach Frieden. Die Regenbogenfahne steht für die Verteidigung und Einforderung einer offenen, di- versen Gesellschaft, die sich der Toleranz und Akzeptanz der Vielfalt von Lebensformen verpflichtet fühlt. Ihre Bot- schaft ist gegen die Ausgrenzung und Unterdrückung von Andersdenkenden oder anderer Kulturen gerichtet, gegen autoritäres Machtstreben und Diktatur. Ins Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert hat sich die Bedeutung der Regenbogenfahne seit den 70er-Jahren, zu- nächst vor allem als Symbol der Lesben- und Schwulenbe- wegung. Geschaffen hat sie der homosexuelle US-Künstler Gilbert Baker in San Francisco. In Zeiten von Ausgrenzung und Vorurteilen gegenüber Homosexuellen sollte der Re- genbogen für Aufbruch und Selbstbehauptung stehen. Auf den Regenbogen kam er, wie er einmal sagte, weil dieser nicht nur bunt sei, sondern auch als Brücke gelte und damit eine Verbindung zwischen Menschen überall auf der Welt darstelle. In den letzten Jahrzehnten hat sich in breiten Teilen der Bevölkerung ein tolerantes Verständnis gegenüber der ge- sellschaftlichen Vielfalt entwickelt. Die Globalisierung und die damit einhergehende Vernetzung unterschiedlichster Menschen und Kulturen tragen zweifellos dazu bei, dass wir uns heute als diverse, wertepluralistische Gesellschaft ver- stehen. «Wir sind uns gegenwärtig der Vielfalt in einem besonderen Mass bewusst», sagt etwa Sozialwissenschaftle- rin Eva Soom Ammann von der Berner Fachhochschule. Im Interview mit dem Magazin Artiset erörtert sie den Be- griff «Diversität», der eigentlich schlicht Vielfalt bedeutet, und zeigt die Entwicklung des Verständnisses von Diversi- tät auf (Seite 10). Wie gerade auch die aktuelle weltpolitische Lage deutlich macht, ist eine diverse, offene Gesellschaft keine Selbstver- ständlichkeit. Ihre Werte gilt es immer wieder zu verteidigen und weiterzuentwickeln. Wir müssen uns stets fragen, wie wir mit Merkmalen und Kategorien umgehen, die zu Aus- grenzung und Ungleichheiten führen können, gerade auch im Zusammenleben mit Menschen, die spezielle Bedürfnis- se haben. In unserem Bericht über den «Chupferhammer» zeigen wir, wie die vielfältigen Kompetenzen, Begabungen und Meinungen von Bewohnenden mit Beeinträchtigung sowie Mitarbeitenden das Leben in der Institution berei- chern (Seite 6). Namentlich in Pflegeheimen stellt die stets grösser werdende Diversität aufseiten des Personals und der betagten Menschen eine Herausforderung dar (Seite 21). Ab Seite 14 erfahren Sie, weshalb es spezifische Wohn- und Pflegeangebote für ältere lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intergeschlechtliche und queere Menschen braucht. Mich persönlich beeindrucken besonders die Berichte über Jahn Graf und Sugi Myluppillai (Seiten 18 und 24), zwei Persönlichkeiten, die mit ihrem Denken und Handeln Di- versität verkörpern. Ihre Botschaft: Eine diverse Haltung entwickeln wir, wenn wir uns immer wieder auf die Welt der anderen einlassen und Verständnis für sie entwickeln. Titelbild: Sozialarbeiterin Sugi Myluppillai kann aufgrund ihrer Erfah- rung kulturellen Missverständnissen begegnen. Foto: Marco Zanoni
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