Magazin ARTISET | 3 2022

ARTISET 03 I 2022 35 macht, dass Veränderung der Normalzu­ stand ist. Zudem: Als Führungsperson hat man mit Menschen zu tun, mit ganz unterschiedlichen Menschen, wobei jeder Mensch in sich widersprüchlich ist. Sol­ che Widersprüche muss man aushalten können, einen gewissen Pragmatismus entwickeln, Kompromisse finden. Ist nicht gerade in Krisen das Be­ dürfnis nach Klarheit und Sicherheit in einem Unternehmen besonders gross? In solchen Situationen ist vor allem Transparenz wichtig. Es kann nie darum gehen, die Mitarbeitenden in einer fal­ schen Sicherheit zu wiegen. Es schafft Vertrauen, wenn Leitungspersonen Un­ wissenheit eingestehen und bekennen, «wir sind in einer schwierigen Situation und wissen nicht genau, was in der nächsten Zeit auf uns zukommt». Zudem braucht es die gemeinsame Vision, dass man als Team diese schwierige Zeit meis­ tern kann. Der Teamgedanke ist wichtig. Es wird allerdings immer Mitarbeitende geben, die grosse Mühe damit haben, Un­ gewissheit auszuhalten. Diese muss man an der Hand nehmen und ihnen so viel Sicherheit geben, wie die Situation dies zulässt. Welche Qualitäten braucht eine Führungsperson, ummit Ungewiss­ heiten und Ambiguitäten umgehen zu können? Ganz im Sinn der philosophischen Ein­ sichten sind Führungspersonen gefordert, eine gewisse Souveränität, Gelassenheit und auch Distanz vorzuleben. Wichtig ist dabei, dass man vor Unsicherheiten im Team nicht die Augen verschliesst, sondern diese erkennt und aufnimmt und dann mit Gelassenheit undWeitsicht da­ rauf reagiert. Ein wichtiger philosophi­ scher Gedanke ist es auch, relativeren zu können. Oft steckt man ja so tief drin, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht.Weitsicht und Relativierungs­ vermögen vermitteln Orientierung. Die Kunst besteht also darin, trotz Ungewissheit und Widersprüchen Orientierung zu schaffen? Ein zentraler Aspekt scheint mir die Wertschätzung der Mitarbeitenden, ge­ rade auch in Zeiten der Veränderung und des Umbruchs. Eine solcheWertschätzung hat motivierende Wirkung. Wir alle brauchen Anerkennung, ganz besonders dann, wenn es schwierig ist. Wichtig ist zudem, dass die FührungspersonVertrau­ en in die Zukunft hat und dieses Vertrau­ en vorlebt. «Wir haben zwar jetzt ein Problem, aber wir bewältigen das ge­ meinsam.» Eine grosse Hilfe dabei ist, wie gesagt, eine gewisse Distanz zum Gesche­ hen. Man könnte das fast eine philoso­ phische Tugend nennen.  Yves Bossart, Philosoph und Moderator der Sendung «Sternstunde Philosophie» auf SRF: «Wir leben in einer Illusion von Kontrolle.» Foto: SRF

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