Magazin ARTISET | 3 2022
ARTISET 03 I 2022 7 René Frischknecht sagt: «Es ist wie bei einer Blumenwiese. Die ist auch schöner, wenn viele unterschiedliche Blumen blühen: grössere, kleinere, gelbe, rote, unscheinbarere und auffällige.» Frischknecht ist ein Abteilungsleiter der Werk- statt im Rosengarten beim Verein Chupferhammer, einer sozialen Institution in der Ostschweiz. Er redet über die Diversität der Menschen, die er betreut. Es sind Menschen mit sehr unterschiedlichen Beeinträchtigungen: psychi- schen, körperlichen oder kognitiven Einschränkungen. Die Institution Chupferhammer ist über 40 Jahre alt. Den Namen bekam der Verein bei der Gründung 1981 von der Liegenschaft Chupferhammer in Lütisburg imToggenburg. Dort ist damals die erste Grossfamilie eingezogen. «Zu Be- ginn stand die Vision des guten Zusammenlebens von Men- schen mit und ohne Behinderung», heisst es in den Grund- sätzen des Vereins. Doch was heisst «gutes Leben» für Menschen mit Behinderung? «Von Beginn weg war klar, dass dies nicht ein institutionell veranstaltetes Leben sein soll. Vorbild war das vielfältige, weitgehend selbstbestimmte Le- ben in Familien oder Wohngemeinschaften.» Entscheidungen dort fällen, wo sie anfallen Von Anfang an war man beim Chupferhammer der Diver- sität verpflichtet – auch wenn man das damals noch nicht so nannte: «Die Wohn- und Arbeitsstätten ermöglichen sinnstiftende Arbeit und privates Wohnen in unterschiedlich gestalteter Weise. Entscheidungen werden im Sinne der Sub- sidiarität dort gefällt, wo sie anfallen. Die Kompetenzen, Begabungen und Meinungen aller bereichern das Leben im Chupferhammer und ermöglichen gegenseitiges Lernen.» Ruth Camenisch, die Geschäftsführerin des Vereins, sagt: «Diversität ist sichtbar in der Vielfalt der Wohn- und Le- bensgemeinschaften sowie der Werkstattabteilungen. Alle, ob Betreute oder Betreuende, bringen ihre Biografie mit. Das ist eine grosse Bereicherung und gleichzeitig auch eine Herausforderung im Betreuungsalltag.» Derzeit arbeiten zirka 180 Angestellte im Chupferhammer, und ebenso viele Menschen mit Beeinträchtigung nutzen die verschiedenen Angebote im Wohnen oder Arbeiten. Der Verein Chupferhammer, eine Institution mit zahlreichen Wohn- gemeinschaften und Arbeitsplätzen für erwachsene Menschen mit einer psychischen, kognitiven oder mehrfachen Beeinträchtigung, lebte Diversität schon lange bevor der Begriff breiten Eingang in die Sozialpädagogik fand. Ein Besuch in der Ostschweiz. Von Urs Tremp Teilhabe an der Aussenwelt Saskia Lenz, die die Wohngemeinschaft Centralstrasse in Ebnat-Kappel SG gemeinsammit einer Kollegin leitet, sagt: «Der Gedanke der Teilhabe am normalen, alltäglichen Leben steht bei uns im Zentrum. Das geht über die unmittelbare Nachbarschaft hinaus. Die Bewohnerinnen und Bewohner, die nur teilbetreut sind, sind recht selbstständig und haben eine grosse Teilhabe an der Aussenwelt. Sie besuchen Kurse oder machen mit in Vereinen.» Heute ist der Chupferhammer ein Verbund von einer Werkstatt mit 4 Abteilungen, 13Wohngemeinschaften und 10 Beschäftigungsstätten. Sie sind dezentral verteilt über die Kantone St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Thurgau und Zürich. Die Wohn- und Lebensgemeinschaften befinden sich in ganz unterschiedlichen Umgebungen – von der ur- banen Siedlung in Winterthur über das stattliche Haus in Wald bis zum Wohnhaus im Obertoggenburg am Fuss des Säntis. Die Geschäftsleitung des Chupferhammers ist in Ebnat-Kappel, untergebracht in einem schlichten Bau. «Sowohl unser Wohn- als auch das Arbeitsangebot sollen dazu beitragen, die Selbstbestimmung und die Individuali- tät der Menschen zu stärken. Das unterstützen und fördern wir. Wir wollen die Vielfalt zulassen», sagt Ruth Camenisch. Wie das praktisch geht, ist in der Wohngemeinschaft Cen- tralstrasse zu erfahren. Die Wohngemeinschaft, in der elf Männer und Frauen zwischen 22 und über 70 Jahren leben, bietet ihnen einen geschützten, regelmässig jedoch inTeilzeit betreuten Rahmen (Wohngemeinschaft und dezentrales Wohnen). «Der Schwerpunkt der Betreuung liegt in der persönli- chen Begleitung und in der Anleitung der Alltagsbewälti- gung sowie in der Unterstützung bei Haushalttätigkeiten und bei der Freizeitgestaltung», sagt Co-Leiterin Saskia Lenz. «Es gibt regelmässige Haussitzungen, bei denen die Bewoh- nerinnen und Bewohner sich einbringen und mitentschei- den können. Das funktioniert auch gut. Als Betreuende sind wir begleitend dabei – dort, wo es uns braucht.» Aber in erster Linie wolle man die Selbstbestimmung fördern: «Der Gedanke der Teilhabe am normalen, alltäglichen Leben steht bei uns im Zentrum.» Saskia Lenz, Wohngruppen- betreuerin beim Chupferhammer
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