Bedürfnisgerecht bauen

ARTISET 03 I 2023 45 Aktuell Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung älterer Menschen sind Schlüsselfragen für die Zukunft der Gesundheitsversorgung. Philippe Anhorn, der Direktor des Réseau Santé Région Lausanne*, ist deshalb ein klarer Verfechter der Partnerschaft mit Patientinnen und Patienten oder Pflegeheimbewohnenden. Er hat auch seine 2021 eingereichte Dissertation diesem Thema gewidmet. Interview: Anne Vallelian «Viele Fachkräfte sind zu wenig für den partnerschaftlichen Ansatz sensibilisiert.» Herr Anhorn, mit der älter werdenden Bevölkerung und dem Pflegepersonalmangel steht die Zukunft der Gesundheitsversorgung nicht gerade unter einem guten Stern. Welche Bedeutung kommt vor diesem Hintergrund der Selbstbestimmung zu? Angesichts der demografischen Entwicklung werden weniger Gesundheitsfachpersonen, aber auch weniger nicht professionelle Ressourcen wie Angehörige zur Verfügung stehen, um sich um die immer zahlreicher werdenden pflegebedürftigen älteren Menschen zu kümmern. Damit verschärft sich die Frage nach der Selbstbestimmung. Die Konsum- und Freizeitwelt hat die heutige Generation dazu erzogen, ihren Willen zu äussern. Anders als unsere Vorgängergeneration akzeptieren wir weniger schnell, was von uns verlangt wird. Dann haben wir es also mit einer Generationenfrage zu tun? Ich denke ja, zumindest teilweise. Die Generation unserer Grosseltern befolgte die ärztlichen Anweisungen. Die Gesundheitsversorgung funktionierte ohne die Patientinnen und Patienten. Dann kam die sogenannte patientenzentrierte Zeit, in der man sich bemühte, alles für sie zu tun. Künftig müsste das System auf eine Funktionsweise mit ihnen ausgelegt sein. Dieser Ansatz kann sich aber als kompliziert erweisen bei Personen, die dies gar nicht einfordern oder auch nicht über die dafür nötige Gesundheitskompetenz verfügen. Wir stellen jedoch fest, dass die meisten Patientinnen und Patienten interessiert sind an einer Beziehung auf Augenhöhe mit den Fachpersonen. Wie kann die Selbstbestimmung gefördert werden? Man muss den Menschen die Möglichkeit geben, sich zu äussern, auch wenn es für sie nicht immer einfach ist, da es um ihre Intimsphäre und ihre eigenen Werte geht. Nehmen wir als Beispiel die Patientenverfügung. Das Vorgehen ist nicht selbstverständlich, denn die Formulare sind nicht so leicht zu verstehen und auszufüllen. Deshalb ist es wichtig, die Menschen zu begleiten, wenn sie eine Patientenverfügung aufsetzen möchten. Zu diesem Zweck haben wir seit 2016 innerhalb unseres Netzwerks ein Angebot für die gesundheitliche Vorausplanung aufgegleist, das wir nun auf kantonaler Ebene umsetzen. Es handelt sich dabei um einen Gesprächsprozess zwischen der betroffenen Person, ihren Angehörigen und geschulten Fachteams. Die betroffene Person soll dabei ihre Werte, Erwartungen und Behandlungswünsche äussern können. Dadurch ist es für sie

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