Bedürfnisgerecht bauen

48 ARTISET 03 I 2023 Ärztinnen teilgenommen hatte. Alle gaben an, partnerschaftlich zu arbeiten, indem sie grossen Wert darauf legten, ihren Patientinnen und Patienten alle relevanten Informationen zu vermitteln. Aber der partnerschaftliche Ansatz umfasst nicht nur die Übermittlung von Information, sondern auch ein offenes Ohr für die betroffenen Personen und die Berücksichtigung ihrer Entscheidungen. In diesem Workshop wurde einem Arzt plötzlich klar, was dies bedeutet: Ich muss Partner sein, auch wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin. In meiner Dissertation konnte ich nachweisen, dass 95 Prozent der Gesundheitsfachpersonen der Meinung sind, dass sie (systematisch oder gelegentlich) partnerschaftlich arbeiten, dies aber nur knapp 45 Prozent der Patientinnen und Patienten auch so wahrnehmen. Wie lautet die Lösung? Die Ausarbeitung einer Strategie ist sehr wichtig. Um diese Diskrepanz zu beheben, muss einerseits ein Bildungsangebot für die Entwicklung einer gemeinsamen Kultur und Sprache geschaffen werden, andererseits sind konkrete Instrumente wie die gesundheitliche Vorsorgeplanung zur Verfügung zu stellen. Tatsache ist, dass innerhalb des Netzwerks nicht alle vom Gleichen sprechen, und dem muss man Gegensteuer geben. Einige Pflegeheime meines Netzwerks gehen sehr weit bei der Zusammenarbeit in Pflegepartnerschaften, indem sie mit den Bewohnerinnen, Bewohnern und deren Angehörigen Betreuungsprojekte erarbeiten. Aber die gesundheitliche Vorsorgeplanung erfolgt wesentlich durch den Arzt oder die Ärztin. In allen Bereichen der Institutionen gibt es Partnerschaft: in der Küche, Wäscherei oder Animation. Nur in der Pflege ist ein Dialog beinahe nicht möglich. Aktuell werden über 80 Personen im Kanton in gesundheitlicher Vorausplanung geschult. Es ist also eine neue Zeit angebrochen, aber die Umsetzung ist schwierig: In gewissen Bereichen gelingt es dem Personal aus Zeitmangel noch nicht, die Partnerschaft in die Berufspraxis zu integrieren. Wie wirkt sich der partnerschaftliche Ansatz auf die Betreuungsqualität aus? Wenn die Menschen ihre Wünsche äussern können, wirkt sich das auf jeden Fall positiv auf die Qualität aus. Diese Qualität misst man nicht mit biomedizinischen Indikatoren, sondern ganz einfach mit Zufriedenheitsumfragen. Sie setzen sich auch stark für das elektronische Patientendossier EPD ein. Ist dies ein weiteres konkretes Beispiel für die geforderte Partnerschaft? In der Tat, denn Eigentümer und Verwalter des EPD ist der Patient respektive die Patientin selbst. Rezepte, Spitalaustrittsberichte und Laborergebnisse kann das Gesundheitspersonal im EPD hinterlegen. Die betroffenen Personen können gewisse Dokumente wie die Patientenverfügung auch selbst hinzufügen. Dabei ist zu sagen, dass sie immer Eigentümer ihres EPD und dessen Inhalts bleiben und für jedes enthaltene Dokument entscheiden können, wer Zugriff darauf hat. Der Titel Ihrer Dissertation in Gesundheitsmanagement lautet frei übersetzt: Partnerschaft als ökosystemische Notwendigkeit am Beispiel des Réseau Santé Région Lausanne. Können Sie uns ein paar Worte dazu sagen? Ich sehe das regionale Gesundheitssystem wie ein Geschäfts-Ökosystem, das selbstverständlich auf die Bedürfnisse seiner Kundschaft eingehen muss. In meiner Dissertation habe ich nach der Forschungs- und Interventionsmethode die Einführung der gesundheitlichen Vorausplanung im Réseau Santé Région Lausanne begleitet. Dabei habe ich auch zwei Umfragen mit Fragebogen bei den regionalen Akteuren durchgeführt, um ihre Meinungen und Erwartungen in Bezug auf die Partnerschaft zu ermitteln. Dank der Ergebnisse meiner Arbeit kann ich den politischen Instanzen, leitenden Personen von Gesundheitseinrichtungen und dem gesamten Gesundheitspersonal Argumente und Empfehlungen für die Einbindung von Partnerschaften in ihre Strategien oder – noch besser – für die Ausarbeitung einer gemeinsamen Gesundheitsstrategie unterbreiten. Und dabei darf natürlich der Einbezug der Patientinnen, Patienten und ihrer Angehörigen nicht vergessen gehen. * Philippe Anhorn ist Direktor des Réseau Santé Région Lausanne. In dieser Funktion referierte er anlässlich der Westschweizer Tagung des Branchenverbands Curaviva Anfang November zum Thema «Le réseau dans tous ses états» über die Partnerschaft und Zusammenarbeit mit den Betroffenen. «95 Prozent der Gesundheitsfach- personen sind der Meinung, dass sie partnerschaftlich arbeiten, aber nur knapp 45 Prozent der Patientinnen und Patienten nehmen das so wahr.» Philippe Anhorn Aktuell

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