ARTISET Magazin | 4-5 2022
16 ARTISET 04/05 I 2022 Im Fokus Jugendliche mit psychischen Problemen haben oft Schwierig keiten beim Übertritt von der Schule in die Lehre. Zwei Jahre Corona und jetzt noch der Ukraine-Krieg haben das Problem verschärft, viele Jugendliche können eine Lehre in der üblichen Form nicht meistern. Ihnen, findet Christine Davatz*, könnten angepasste Lehrabläufe helfen. Und Ausbildungsbetriebe bräuchten eine geeignete Beratungsstelle. Interview: Claudia Weiss «Wichtig: Eine offizielle Anlaufstelle für die Lehrbetriebe» Frau Davatz, gemäss der Studie «Umgang mit psychisch belasteten Lernenden» (siehe Link) kämpfen viele Jugendliche mit psychischen Problemen, fast die Hälfte von ihnen erleben dadurch problema tische Ausbildungsverläufe. Wie wirkt sich das auf ihre Bildungs chancen aus? Unser Duales Bildungssystem mit dem Grundsatz «kein Abschluss ohne An schluss» passt vor allem für Jugendliche, die in einer Lehre physisch und psychisch gut bestehen können. Zum Glück haben wir mit dem Eidgenössischen Berufsattest EBA auch gute Möglichkeiten für Jugend liche, die aufgrund einer psychischen Be einträchtigung oder einer Lernschwäche nicht mit einem Eidgenössischen Fähig keitszeugnis EFZ abschliessen können: Die Attestlehre hat die frühere Anlehre abgelöst, die einzig mit einem nicht regle mentierten Augenschein durch Berufs leute abgeschlossen wurde. Im Gegensatz dazu ist die Ausbildung zum Berufsattest eidgenössisch geregelt und folgt einem klaren Bildungsplan. Das bedeutet, dass die Jugend lichen später allenfalls noch eine EFZ-Ausbildung anhängen können. Dann ist also alles gut eingefädelt? Es ist tatsächlich eine sehr gute Möglich keit für viele. Sie bedeutet allerdings auch, dass etliche von jenen, die nach altem System eine Anlehre gemacht hätten, zwi schen Stuhl und Bank fallen: Nicht alle von ihnen können auch eine Attestlehre bestehen. Das heisst also, einigen fehlt quasi eine Zwischenstufe für den verein fachten Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt? Genau: Es braucht unbedingt etwas für jene, die eine berufliche Grundbildung mit dem Eidgenössischen Berufsattest EBA nicht bestehen, etwas, das positiv formuliert ist: «Schau, das alles kannst du!» Heute füllt der Individuelle Kompe tenznachweis IKN diese Lücke zumTeil: Dieser wurde zusammen mit den Berufs verbänden erarbeitet, damit alle von den gleichen Anforderungen ausgehen kön nen. Gegenwärtig existiert der IKN erst für bestimmte Berufe, er soll aber laufend erweitert werden, denn er ist ein wich tiges Instrument auf dem Weg der beruf lichen Integration für Jugendliche, die aufgrund von psychischen Schwierig keiten auch die Anforderungen einer EBA-Lehre nicht bestehen. Ganz wichtig ist: Damit ein Übergang in den ersten Arbeitsmarkt gut gelingen kann, müssen die Berufsverbände bei der Gestaltung solcher neuen Ausbildungsmöglichkeiten mitreden können. Dabei entstehen oft intensive Diskussionen. Worin liegen die Schwierigkeiten bei solchen Diskussionen? Die Berufsverbände müssen ohnehin alle fünf Jahre ihre Ausbildungen aktualisie ren, dann sollten sie sich auch um Flücht linge kümmern und um die Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten und jene mit psychischen Problemen – und dann auch noch den individuellen Kompetenznach weis entwickeln. All das, wo doch auf grund des Fachkräftemangels ohnehin zu wenig Leute in der Berufsbildung einge setzt werden können. Teils fehlen daher
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NDQzMjY=