ARTISET Magazin | 4-5 2022
ARTISET 04/05 I 2022 37 Ein Mitarbeiter der Stiftung Domino wird von einer Gruppenleiterin/Assistenzperson begleitet. Foto: Stiftung Domino In Folge der Ratifizierung der UN-Behindertenrechts konvention (UN-BRK) sowie der Entwicklungen im fach- lichen Verständnis sind Institutionen gefordert. Zu den zentralen Grundprinzipien zählen die Stärkung von Selbst- bestimmung sowie Wahlfreiheit. In unserer mittelgrossen Stiftung im Kanton Aargau wurde vor diesem Hintergrund an einer Strategietagung im Jahr 2016 der Prozess der Kon- zeptüberarbeitung konkret initiiert. In einem ersten Schritt ist ein Strategiebericht erarbeitet worden, der Entwicklungen wie Assistenz, UN-BRK, Sozi- alraumorientierung und Subjektfinanzierung diskutiert. Auch wurden eine Vision formuliert sowie Umsetzungsmög- lichkeiten skizziert. Zwei Jahre später, 2018, haben die Ver- antwortlichen bestimmt, Assistenz als Leitkonzept einzu- führen – und dieser Haltung damit eine zentrale Bedeutung einzuräumen. Eine Arbeitsgruppe mit Angestellten in un- terschiedlichen Funktionen erhielten daraufhin den Auftrag, ein Konzept zu erarbeiten. Die Aufgabe: Das bestehende agogische Konzept und gleichzeitig auch den Jahresprozess und die entsprechenden Instrumente zu überarbeiten be ziehungsweise neu zu erarbeiten. Abschied von paternalistischen Konzepten Im Verlauf der Entwicklung wurden mehrmals interne Um- fragen und zuletzt auch eine umfassende Vernehmlassung bei allen in irgendeiner Form involvierten Personen durch- geführt. Bei den betroffenen Personen selber, also den Mitarbeitenden der Werkstätten der Stiftung sowie den Be- wohnerinnen und Bewohnen, den heutigen «Assistenzper- sonen», den gesetzlichen Vertretungen und Angehörigen sowie ausgewählten Fachpersonen und Verbänden. Die Ant- worten ergaben immer wieder wichtige Inputs für Verbesse- rungen, bestätigten aber auch die eingeschlagene Richtung. Bereits imVerlauf des 19. Jahrhunderts hat sich die Haltung gegenüber Menschen mit einer Beeinträchtigung deutlich gewandelt. Man sprach nicht mehr von «Versorgung», son- dern von «Betreuung». Mit der UN-BRK wird nun eine weitere Entwicklung eingefordert: Paternalistische Konzep- te («Fachpersonen wissen, was für eine Person gut und rich- tig ist») sind nicht mehr angebracht. Unsere Stiftung hat vor acht Jahren damit aufgehört, den Ausdruck «familienähn liche Strukturen» zu verwenden, der mit der problemati- schen Assoziation der ungleichen Beziehung von Eltern und Kindern verbunden ist. Sprache verdeutlicht eine Haltung und beeinflusst das Denken. Deshalb war für uns die Überprüfung der Begriffe ein zentraler Punkt. Es war uns zudem wichtig, die Direkt- betroffenen zu fragen, welche Begriffe sie passend finden. So entschied sich die Mehrheit zum Beispiel eindeutig gegen die Verwendung des Begriffs «Behinderung». Beim Leit begriff haben wir uns bewusst für «Assistenz» entschieden, weil er eine ganz bestimmte Haltung zum Ausdruck bringt. Es geht um eine Dienstleistung für eine möglichst selbst bestimmte Person. Die kritischen Überlegungen seitens einiger Fachperso- nen, der Begriff «Assistenz» sei bereits mit Assistenzmodellen für selbständig wohnende Personen verknüpft, konnten wir einerseits nachvollziehen. Andererseits sind wir der Über- zeugung, dass die durch den Begriff akzentuierte Haltung unabhängig von der Wohnform dieselbe sein soll. Es geht um den Anspruch auf Hierarchieumkehr, das Recht auf Selbstbestimmung, individuelle Definition Es braucht noch weitere Überlegungen dazu, was Selbstbestimmung für Personen mit stark eingeschränkter Kognition und Kommunikation bedeutet. DIE STIFTUNG DOMINO Die privatrechtliche Stiftung Domino mit Sitz in Hausen AG setzt sich dafür ein, Menschen mit Assistenzbedarf mehr Lebensqua- lität und gesellschaftliche Integration zu ermöglichen. An den Standorten Hausen, Windisch und Brugg gibt es Arbeits- und Wohnangebote für gegen 200 Personen.
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