ARTISET Magazin | 4-5 2022

ARTISET 04/05 I 2022  41 Aktuell Was wird aus Jugendlichen, die vor zehn Jahren in einer sozialpädagogischen Einrichtung betreut wurden? Antworten darauf gibt der Modellversuch «Jugendhilfe- verläufe: Aus Erfahrung lernen», kurz JAEL genannt. Marc Schmid* von der Universität Basel erläutert die Zwischenergebnisse. Interview: Elisabeth Seifert «Zwei Fünftel der Befragten sind sehr zufrieden» Herr Schmid, die Befragungen sind abgeschlossen, und es liegen die ersten Ergebnisse vor: Wie geht es den jungen Erwachsenen heute, die ihre Jugendjahre in einer stationä- ren Einrichtung verbracht haben? Wir haben die Zufriedenheit und soziale Teilhabe der jungen Menschen erfasst, be­ sonders in den Bereichen Gesundheit, Arbeit und Finanzen sowie Soziales und Probleme mit dem Gesetz. Die Ergebnisse haben wir dann zusammengefasst. Zwei Fünftel der Befragten sind in all diesen Bereichen richtig gut unterwegs. Sie haben eine Arbeit und ein Lebensumfeld, mit dem sie sehr zufrieden sind. Und dann gibt es zwei Fünftel, die in einem der genannten Bereiche gewisse Schwie­ rigkeiten haben, die sie bewältigen müs­ sen, aber doch recht gut zurechtkommen. Ein Fünftel der Befragten macht uns richtig Sorgen: Sie haben psychische Pro­ bleme, oft einen hohen Suchtmittel­ konsum, sind oft nicht im Arbeitsleben integriert und beziehen teilweise auch Sozialhilfe oder IV. Haben Sie die Ergebnisse in etwa so erwartet? Das ist so. Wir wussten ja, wie belastet diese Kinder und Jugendlichen bei der ersten Befragung damals, vor rund zehn Jahren, waren. Man muss sich folgende Zahlen vor Augen halten: 1 bis 1,5 Pro­ zent aller Kinder in der Schweiz werden fremdplatziert. Wenn man mit einbe­ zieht, wie belastet jemand sein muss, um in eine Institution zu kommen, dann ist eine Integration von vier Fünfteln gut. 80 Prozent aller Kinder, die wir damals befragt haben, hatten traumatische Er­ fahrungen, 75 Prozent waren psychisch belastet. Trotzdem haben sich zehn Jahre später viele von ihnen recht gut integriert. Wo steht die Schweiz mit den Ergebnissen im internationalen Vergleich? Die Ergebnisse sind auf der Basis von in­ ternationalen Studien sehr vergleichbar. Es gibt grosse Untersuchungen über die Lebenssituation von Careleaverinnen und Careleavern aus Schweden, den USA und Grossbritannien. Im Vergleich etwa zu Grossbritannien haben wir weniger Probleme bei der Obdachlosig­ keit, wie auch bei den frühen Schwan­ gerschaften. Die guten Ergebnisse zeigen das hohe Niveau der Heimerziehung in der Schweiz und eine hohe durchschnitt­ liche Struktur- und Prozessqualität, auch dank der Standards, die das Bundesamt für Justiz definiert. Vier Fünftel der Careleaverinnen und Careleaver geht es recht gut: Was bedeutet dies im Vergleich zum Durchschnitt der Altersgenos- sinnen und Altersgenossen? Bei den Ergebnissen muss man aufpassen, womit man diese vergleicht. Einem gros­ sen Teil geht es in verschiedenen Berei­ chen wahrscheinlich weniger gut als der Durchschnittsbevölkerung. Sie verdienen im Durchschnitt weniger, und es gibt auch nur wenige, die studieren oder einen Studienabschluss haben. Wenn man sie aber vergleicht mit anderen Jugendlichen, die ähnliche Startbedingungen

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