ARTISET 04/05 I 2023 29 «DARUM ARBEITE ICH GERNE HIER» Fachkräfte erzählen im Team?» oder «Was brauchst du gerade?» seien Einstiegsfragen, die rasch auf die wichtigen Anliegen hinführen. Sie fragt die Teamfrauen regelmässig nach der Situation im Team, nach aktuellen Themen und Aufgaben, aber auch nach der eigenen inneren Sicherheit und Resilienzfaktoren: Wie finden sie einen Ausgleich zur Arbeit? Können sie Kraft aus Familie oder Natur ziehen, oder können sie sich zurückziehen und meditieren? Daneben finden auch Mitarbeiterziele, verschiedene anliegende Themen oder offene Aufgaben Platz. Barbara Helfer schätzt den regelmässigen Austausch mit den Teamfrauen und achtet darauf, jeweils auch die Resilienzfaktoren oder hilfreiche Rituale zu dokumentieren. Dank diesen Gesprächen verbringe sie immer wieder eine Stunde im Eins-zu-Eins-Gespräch, erklärt sie: «So verliere ich kein Teammitglied aus den Augen, weiss immer, wo sie stehen, und kann auch nachfragen, ob sich anstehende Themen geklärt haben.» Der Drei-Wochen-Abstand sei ein guter Rhythmus, um nachzuhaken und zu beobachten, wie sich etwas entwickelt. So ist der Puls gut fühlbar Die Teamfrauen ihrerseits führen seit 2016 ebenfalls mit den ihnen zugeteilten jungen Frauen ein kurzes Liniengespräch, und zwar wöchentlich. Dabei gehen sie unter anderem organisatorische Informationen durch, besprechen aber auch Fragen rund um die persönliche Befindlichkeit, die Situation in der Gruppe oder zu Hause und die momentane innere Sicherheit der jungen Frauen. Und, Nicole Wolschendorf lacht fröhlich: Die jungen Frauen erhalten bei diesem Anlass ihr wöchentliches Taschengeld ausbezahlt. «Damit machen wir auch jenen diese Gespräche schmackhaft, die sie nach einer Weile etwas mühsam finden.» Auslassen möchte sie die Liniengespräche auch dann nicht, wenn die jungen Frauen nicht immer hell begeistert sind, denn so sei der Puls immer gut fühlbar. Dank den Liniengesprächen bekommen die Heimleiterin und ihre Stellvertreterin auch schnell mit, wenn etwas anliegt: In den beiden Liniengesprächen mit der Elternbegleiterin und dem Familientherapeuten hat Nicole Wolschendorf letzthin herausgefunden, dass es wichtig ist, nebst den Einzelgesprächen auch ein gemeinsames Gefäss für die beiden zu schaffen. Und gleich in mehreren Liniengesprächen, die Barbara Helfer mit den Teamfrauen führte, stellte sich heraus, dass die gleichzeitigen Weiterbildungen in Transaktionsanalyse, Traumapädagogik und Psychiatrie einigen neben der täglichen Arbeit zu happig sind. Deshalb entwarf die Heimleiterin zusammen mit ihrer Stellvertreterin für die nächste Struktursitzung ein Plakat mit sämtlichen Aufgaben 2023 – und strich kurzentschlossen für dieses Jahr Traumapädagogik und Psychiatrie von der Weiterbildungsliste. Dadurch versucht Nicole Wolschendorf, die Komplexität des Alltags zu mindern und die Zufriedenheit zu steigern. Sie schmunzelt. «Jetzt fehlt das einigen bereits.» Auch die aufwendigen, von einigen als überflüssig empfundenen Standortberichte hat sie vorerst versuchsweise gestrichen, und gleichzeitig die jährliche «Rose-Reise» und Erlebniswochenenden neu als freiwillig erklärt. Auch hier merkte sie: «Zu viele Vorgaben schränken die Freiräume ein und mindern die Motivation. Seitdem die Wochenenden auf freiwilliger Basis stattfinden, möchten alle gern mitgehen.» Wichtig findet Nicole Wolschendorf: Solche Anpassungen zeigen den Mitarbeiterinnen, dass sie gehört werden und etwas bewirken können. Ebenso wichtig sei aber auch, ständig dranzubleiben und in den folgenden Liniengesprächen nachzufragen: «Wie geht es dir jetzt mit diesen Änderungen?» Denn so hilfreich es sei, dass alle sagen können, wie sie sich fühlen: Die grosse Herausforderung sei, dabei die Balance zu finden zwischen «rasch und agil reagieren» und «kopflos Änderungen einführen», damit die Teams nicht von ständigen Wechseln überfahren werden. Das Gefühl, gesehen zu werden Tatsächlich werden die Liniengespräche in den Teams sehr geschätzt: Sozialpädagogin Marion Ammann findet, sie seien wichtige Gefässe zum Sortieren und Austauschen. «Und sie zeigen mir, dass ich als Person wahrgenommen werde und ein Mitspracherecht habe.» Auch Annika Küng, die als Aushilfe in der Betreuung mithilft, schätzt sehr, dass sie so gehört wird: «Das gibt mir das Gefühl, dass ich nicht auf mich allein gestellt bin, und vermittelt ein Stück Menschlichkeit und Echtheit in der Arbeitswelt.» Solche Rückmeldungen bestärken Nicole Wolschendorf darin, dass die Liniengespräche letztlich auch bewusstseinsfördernd für das ganze Team wirken. Das wiederum zeige einen klar spürbaren positiven Effekt: «Je besser alle in ihrer Mitte sind, desto ruhiger läuft der Alltag.» Sie überlegt kurz, dann bringt sie es auf den Punkt: «Die Liniengespräche stellen den roten Faden im ganzen Betrieb dar.» Die rund einstündigen Liniengespräche finden so regelmässig statt, dass anstehende Themen nicht lange liegenbleiben.
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