Das Wohlbefinden fördern – ohne Medikamente Magazin ARTISET

ARTISET 04/05 I 2024 21 Im Fokus Tiere tun gut. Dieser Philosophie folgt das Pflegezentrum Reusspark im aargauischen Niederwil mit seinen tiergestützten Interventionen. Hier treten Mensch und Tier regelmässig in Kontakt. Ob in Einzeltherapie oder im Gruppen-Setting: Die Begegnungen schaffen heilsame und wohltuende Momente für die Bewohner. Wir haben uns bei einem Besuch davon überzeugen lassen. Von Jenny Nerlich Es quiekt. Sechs aufgeregte Meerschweinchen flitzen vorne zur Gehegebrüstung, heben ihre kurzen Beinchen hinauf und strecken ihre Nasen keck empor. Es ist Zeit für die Fütterung. Nicht nur die Meersäuli freuen sich darauf, sondern auch Margot Scheidegger*. Margot ist Bewohnerin im Reusspark, dem einzigen Pflegezentrum in der Schweiz mit eigenem Kleintierpark und regelmässigen Angeboten an tiergestützten Interventionen. Der Reusspark liegt in Niederwil, im Aargau. Die weitläufige Wohn- und Parkanlage direkt an der Reuss bietet ihren Bewohnern zahlreiche Möglichkeiten, mit Flora und Fauna in Kontakt zu treten. Hier leben Esel, Minischweine, Ziegen, Hühner, Enten, Frettchen, Papageien, Kaninchen und: Meerschweinchen. Einmal in der Woche besucht Margot mit ihrer Ergotherapeutin die Meerschweinchen. Die kleinen Nager sind aktiv und fordern Margot zum Handeln und Bewegen auf. Und sie wecken positive Emotionen. Ihr quirlig-fröhliches Quieken lässt Margot vor Freude eine Träne verdrücken. Sie hält sich, gestützt von ihrer Ergotherapeutin, am Gehegerand fest und reicht den Nagern eine Karotte. Die knabbern gierig daran – doch plötzlich reisst ein kleiner Dieb die Karotte aus Margots Hand. Weg ist er. «Auf Wiedersehen», lacht sie. «Das Meersäuli hat wahnsinnige Kraft.» Als Nächstes bekommt Margot ein Stück Fenchel von der Ergotherapeutin. «Wissen Sie, was das ist?» «Fenchel», antwortet Margot. «Der riecht fein, nicht?» Margot nimmt den Duft der frischen Knolle wahr. «Ja», erwidert sie und lässt die Meersäuli an dem Gemüse nagen. Riechen, spüren, bewegen und sprechen: All dies verbindet die tiergestützte Therapie im Reusspark. Mit ihr sollen die motorischen, sensorischen und kognitiven Fähigkeiten der Bewohnenden erhalten oder verbessert werden. Die Tiere sind dabei die idealen Co-Therapeuten, denn sie werten nicht und nehmen jeden Menschen, wie er ist. Die Begegnungen mit den Meerschweinchen sind für Margot sehr wertvoll: «Es ist schön für mich. Und die Tiere spüren das», freut sie sich am Ende der Therapie. Tiergestützte Interventionen mit Profi Keine tiergestützte Intervention läuft ohne den aufmerksamen Blick von Cornelia Trinkl ab. Die diplomierte Tierpflegerin mit einer Fachausbildung für tiergestützte Interventionen ist für das Wohl der felligen und gefiederten Reusspark-Bewohner verantwortlich. Wie zum Beispiel für die Hühner, die jetzt für die nächste Tierbegegnung parat gemacht werden müssen. Dafür holt Trinkl zunächst grünen Salat, Körner und Decken und legt sie auf einen Rollwagen. Dann kommen die Hühner an die Reihe. Mit zwei Transportboxen betritt die Tierpflegerin das weitläufige Gehege. Sie schüttelt eine Schachtel mit Körnern und lässt einige davon in die Transportkisten rieseln. Das köstliche Geräusch lockt das Federvieh aus allen Richtungen an. Einige Mutige wackeln unbeirrt in die zwei Transportboxen. «Ich nehme nur Hühner mit, die freiwillig kommen», erklärt Trinkl. «Die Hühner wissen, dass die Box Kontakt mit Menschen bedeutet.» Tiere müssen Freude an Menschen haben Von klein auf sind die Hühner im Reusspark an den Kontakt mit Menschen gewöhnt. Es gibt jedoch auch «Second-­ Hand-Tiere», wie Cornelia Trinkl augenzwinkernd erzählt. Die werden nach ihrem Charakter für die tiergestützten Interventionen ausgewählt. Denn nicht jedes Tier WIRKSAMKEITSSTUDIE ZUR TIERGESTÜTZTEN THERAPIE Wie gut und nachhaltig tiergestützte Therapien auf Menschen wirken, ist bisher kaum erforscht. Daher führt die Universität Zürich in Zusammenarbeit mit dem Pflegezentrum Reusspark aktuell eine mehrjährigen Wirksamkeitsstudie durch. Untersucht wird auch die Frage, ob der regelmässige therapeutische Kontakt mit Tieren eine Medikamentenreduktion ermöglicht.

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