Partizipative Führung hat Zukunft | Magazin ARTISET | 6 2022
24 ARTISET 06 I 2022 Im Fokus Wie bei allem, was man neu lernt, bedeu tete auch die Einführung der Soziokratie zunächst einen höheren Zeitaufwand. Nach drei bis vier Jahren haben sich dann aber die Sitzungszeiten im Vergleich zu vor-soziokratischen Zeiten halbiert. Die Sitzungen werden heute also viel effizienter durchgeführt. Weshalb? Wir legen sehr genau fest, in welchen Kreisen welche Entscheide getroffen wer den. An den Kreisversammlungen wer den zudem einzig die Rahmenbedingun gen für die Arbeitsabläufe festgelegt. Für die Ausführung respektive Umsetzung der Entscheide sind dann lediglich Ar beitsbesprechungen nötig, für die es keine langen Diskussionen mehr braucht. Wie haben Sie Herausforderungen im Zuge der Einführung gemeistert? In einer ersten Phase liessen wir uns ex tern begleiten. Später war es dann hilf reich, dass ich die Ausbildung zur zerti fizierten Soziokratie-Expertin absolviert habe. Man muss auch akzeptieren kön nen, dass es Mitarbeitende gibt, denen die neuen Strukturen nicht liegen und die das Unternehmen verlassen. Es gibt aber eben auch solche, die gerade deswe gen zu uns kommen. Ganz wichtig scheint mir, sich als Organisation auf den Prozess einzulassen. Vieles ist Übungs sache. Ganz besonders trifft dies auf das in der Anfangsphase anspruchsvolle Kon sentverfahren zu. Wo liegen die Schwierigkeiten beim Konsentverfahren? Das Konsentverfahren anlässlich der Sit zungen der Kreisversammlungen folgt einem klar strukturierten Vorgehen. Be vor alle ihre Meinung zu einem Thema kundtun, gibt es eine Informationsrunde, an der sich auch alle beteiligen . Die Teil nehmenden vermischen oft Meinung und Information. Die Gesprächsleitung muss hier dann entsprechend intervenieren. Die Informationsrunde ist sehr wichtig, weil sich hier bereits viel Fragen klären. Die Herausforderung bei der zweiten Meinungsbildungsrunde besteht oft darin, die gehörten Argumente und Meinungen in die eigene zu integrieren, also allenfalls die eigene Meinung anzupassen. Eine weitere Schwierigkeit war, dass Mitarbei tende zu Beginn relativ rasch die Zustim mung zu einem Entscheid respektive ihren Konsent verweigert haben. Mitarbeitende haben in der Sozio kratie ja durchaus das Recht, den Konsent zu verweigern… Sobald jemand die Zustimmung zu ei nem Beschluss verweigert, fragt die Ge sprächsleitung nach dem Grund dafür. Für eine Verweigerung braucht es einen schwerwiegenden und begründeten Ein wand. Der Einwand darf nicht vor dem Hintergrund persönlicher Wünsche und Vorstellungen erfolgen, sondern muss auf die Ziele der Organisation bezogen sein. Ein Einwand, der vor diesem Hinter grund erfolgt, ist sehr wichtig. Die Mit arbeitenden müssen sich dafür aber erst einmal über die gemeinsamen Ziele im Klaren sein, oft denkt man ja nur daran, was man selber will. Das ist ein Wandel im Bewusstsein, der nicht von heute auf morgen geschieht. Es ist aber ein sehr wertvoller Prozess. Die Mitarbeitenden identifizieren sich mit den Organisati onszielen und überlegen sich, welchen Beitrag sie zum Gelingen leisten können. Wie hat sich Ihre Funktion respekti ve Ihr Selbstverständnis als Institu tionsleiterin verändert? Der wesentliche Unterschied besteht dar in, dass ich Grundsatzentscheide nicht mehr alleine respektive gemeinsam mit den Bereichsleitungen treffe. Im Stamm- respektive Leitungskreis sitzen ja zusätz lich je zwei Delegierte aus den drei Be reichskreisen sowie Vertreter:innen der Stabsstellen. Dadurch werden die Ent scheide vielfältiger reflektiert und breiter abgestützt. Ausnahmen gibt es für Kri sensituationen wie der Coronapandemie. Um handlungsfähig zu sein, haben wir in Absprache mit denMitarbeitenden ein anderes Vorgehen gewählt. Sie entscheiden heute weniger sel ber. Wie gehen Sie mit diesem Machtverlust um? Als Institutionsleiterin habe ich tatsäch lich viel weniger Entscheidungsmacht als Brigitta Buomberger, Institu tionsleiterin: «Die Mitarbeiten den überlegen sich, welchen Beitrag sie zum Gelingen leis ten können.» Foto: OVWB
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NDQzMjY=