Partizipative Führung hat Zukunft | Magazin ARTISET | 6 2022
ARTISET 06 I 2022 27 Kontext Mensch mit Sitz in Bern bietet ambu lante Unterstützung: Anfangs in den Bereichen Soziale Arbeit – vor allem für Kinder und Familien – sowie Gesundheit und Coaching, seit Neuerem auch in der Domäne Arbeit und Wirtschaft. Entscheide werden nach soziokra tischen Gesichtspunkten konsentbasiert gefällt, die Organisation ist lernend und leichtfüssig gehalten. Von Claudia Weiss Eine soziokratische Entscheidungs findung und schwerfällig? Ramona Bischoff und Samuel Steiger schauen einander an und schütteln gleichzeitig den Kopf. «Alles andere als das», sagt Bischoff nachdrücklich. Im Gegenteil, finden beide: Festgelegte Entscheid kreise helfen, dass Abläufe bei Kontext Mensch, der «kreativen Anbieterin am bulanter Unterstützung» in Bern, flink funktionieren. Endlose Diskussionen, komplizierte Kaskaden – genau das komme hier nicht vor. Damit das funktioniert, sagt Samuel Steiger, Sozialpädagoge, Mediator und Kapitän der Vorgängerinstitution Kon text Bern, braucht es eine klar struktu rierte, aber bewegliche Organisation mit kleinen, agilen Kreisen von Expert innen und Experten. Der innerste Kreis, die sogenannte DNA von Kon text Mensch, besteht aus vier Personen: Im Lauf der Jahre hatte sich um Steiger herum ein Kernteam gebildet mit David Capdevila (Sozialarbeiter, Kunst- und Maltherapeut), Michael G. Walser (Sozialarbeiter und Sexologe) und Ramona Bischoff (Betriebswirtin und Wirtschaftspsychologin). Ihre gemeinsamen Ziele: Die Arbeit soll Sinn und Freude machen. Sie soll Zeit lassen zum Leben und für die per sönliche Entwicklung. Und sie soll erst noch wirtschaftlich sein (siehe auch Kasten Seite 29). «Leerlauf, Zeitfüller sitzungen und Nonsensaufgaben leis ten wir uns nicht, nicht an Finanzen und nicht an Lebenszeit», sagt Ramona Bischoff dezidiert. «Wir arbeiten im mer nur mit jenen Rollen und Prozes sen, die uns nützen und pragmatisch dem Erfüllungsziel dienen.» Dabei sollen stets die Menschen im Zentrum stehen – jene, die mitarbeiten, und jene, die begleitet werden. Tragende Rollen als Kreise Bei Kontext Mensch sind tragende Rol len als Kreise organisiert. Diese über nehmen Arbeiten von Erstgesprächen mit Kundinnen und Kunden bis hin zur Finanzplanung. So passt die Orga nisation ihre zentralen Geschäftsabläu fe ständig an die Notwendigkeit an. Dabei sollen auch menschliche und fachliche Prozesse begleitet werden. Dafür steht in der Organisation bei spielsweise die Rolle «Buddy» zur Ver fügung. Diese wird von sieben Fach spezialistinnen und -spezialisten für alle angebotenen Bereiche, auch für Administration und Projektleitung, wahrgenommen. «Die Verantwortlich keit der Rolle stellt sicher, dass die Auf träge mit den passenden Fachpersonen besetzt werden», erklärt Samuel Steiger. Die sieben Buddys betreuen die Fach personen – die Kontextologinnen und Kontextologen – in engem Austausch. Sie kennen untereinander die Persön lichkeiten und Stärken und können deshalb sehr rasch entscheiden, wen sie für einen bestimmten Auftrag vorschla gen möchten. Die Kontextologinnen und Kontexto logen wiederum arbeiten ausschliess lich auf Mandatsbasis: So entscheiden sie immer frei, ob sie einen Auftrag annehmen oder nicht, niemand muss ein Mandat übernehmen, um Sollzei ten zu füllen. Umgekehrt hat Kontext Mensch auch keine Verpflichtung, Mandate einzuholen, die nicht ideal zu den angebotenen Kompetenzen passen. Eine Beschäftigungsgarantie gibt es nicht, dafür viel Freiheit und Selbstbe stimmung, um in einem lebendigen und fachlich diversen Ökosystem Pro jekte zu realisieren. «So kann Innova tion und persönliche Entwicklung all täglich stattfinden», sagt Ramona Bischoff. «Effizient und erfolgreich» Kontext Mensch zog rasch interessierte Fachpersonen aus diversen Ausbil dungs- und Arbeitsbereichen an und entwickelte sich weiter. Und zwar blitz schnell: Innert Jahresfrist verdoppelte sich die Crew, inzwischen gehören 37 Fachpersonen zur Organisation. Ob denn die Organisation nicht je grösser, desto schwerfälliger werde? Samuel Steiger nickt, diese Frage hört er immer wieder. Aber er sieht das genau anders: «In der soziokratisch organisierten Orga nisation werden nicht alle zu jedem Punkt befragt, sondern nur die jeweils betreffenden Rolleninhaberinnen des jeweils zuständigen Kreises.» Beim Ent scheidungsprozess müssen nicht
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