Partizipative Führung hat Zukunft | Magazin ARTISET | 6 2022

ARTISET 06 I 2022  37 zusammenstellen, das sich an den Be- dürfnissen der Menschen und nicht an den Angeboten von Bund und Kanto- nen orientiert. Soziale Institutionen fungieren als Brückenbauer Die sozialen Institutionen begleiten Menschen mit Behinderung und un- terstützen sie dabei, ihr Leben selbstbe- stimmter zu gestalten. Die Verbände der Dienstleister für Menschen mit Unterstützungsbedarf engagieren sich deshalb auch imMehrjahresprogramm «Selbstbestimmtes Leben» von Bund und Kantonen. Der mit der UN-BRK angestossene Transitionsprozess von der Angebots- zur Bedarfsorientierung steht für einen grundlegenden Hal- tungswechsel. Dienstleister stehen im Auftrag von Bund und Kantonen und sind somit abhängig von den strukturellen Rah- menbedingungen. Die Dienstleister haben jedoch proaktiv begonnen, ihre Angebote den Zielvorgaben der UN- BRK entsprechend weiterzuentwickeln. Die (Werte-)Haltung und die Betriebs- kultur in Verbänden und sozialen Ins- titutionen bilden das Fundament. Der Sensibilisierung aller involvierten Men- schen kommt darum eine entscheiden- de Bedeutung zu. Mit dem Aktionsplan UN-BRK hat sich die Branche rasch selbst auf einen Massnahmenplan zur Umsetzung der UN-BRK geeinigt. Mit den formulier- ten Zielen und Massnahmen betonen die Verbände den eingeschlagenen Weg, einen Paradigmenwechsel zu voll- ziehen: vom allumfassenden Fürsorge- prinzip hin zu einer partizipativen, bedürfnisorientierten Begleitung von Menschen mit dem Ziel der vollstän- digen gesellschaftlichen Teilhabe und selbstbestimmten Lebensführung. Zum Beispiel beim Wohnen Viele Menschen mit Beeinträchtigung befinden sich in einem Übergang zwi- schen betreutem und begleitetem Wohnen. Doch gerade bei diesem ent- scheidenden Übergang wechselt die Zuständigkeit bei der Finanzierung einer allenfalls gewünschten Unter­ stützung. Dadurch wird die grosse Herausforderung zu einem selbstbe- stimmteren Leben nochmals künstlich erhöht. Erschwerend ist, dass in der geltenden Ausrichtung der Behinder- tenpolitik bei einem Rückfall kein Auf- fangnetz vorgesehen ist, das situativ in Anspruch genommen werden kann. Die Idee der Eingliederung kennt nur eine Richtung. Die Möglichkeit, bei den Übergängen für eine gewisse Zeit einen Schritt zurückzugehen, ist im bestehenden System nicht wirklich vorgesehen. Es braucht günstige gesetzliche Rah- menbedingungen. Nur so kann einer Wahlfreiheit auf der Angebotsseite Vor- schub geleistet werden, insbesondere der Förderung ■ einer Diversität von möglichen Wohnformen und Wohnunterstüt- zungsmöglichkeiten, ■ einer Durchlässigkeit von verschie- denen Wohnangeboten, die auch Auffangmöglichkeiten beinhalten, ■ einer flexiblen, bedürfnisorientierten Unterstützung in der jeweiligen, selbstgewählten Wohnform. Zum Beispiel bei der Arbeit Integrationsbetriebe wirken als Brü- ckenbauer für die berufliche Teilhabe. Sie verhelfen Menschen, trotz einer leistungseinschränkenden Behinde- rung ihre Potenziale im Arbeitsleben zu entfalten. Der allgemeine Arbeitsmarkt muss dringend inklusiv(er) ausgestaltet werden. Integrationsbetriebe mit ihrer personenorientierten Unterstützung können wesentlich zu einem inklusiven Arbeitsmarkt beitragen, indem sie Menschen mit Unterstützungsbedarf in ihrem beruflichen Leben begleiten und dafür mit Arbeitgebenden des all- gemeinen Arbeitsmarktes eng zusam- menarbeiten – bei der Ausbildung, bei der (Wieder-)Eingliederung und mit der Bereitstellung von betriebsinternen und -externen Arbeitsstellen. Damit Menschen mit Behinderung ihr Potenzial wirklich einbringen kön- nen, braucht es Unterstützung sowohl bei der individuellen Begleitung auf dem Weg vom ergänzenden zum all­ gemeinen Arbeitsmarkt wie auch für Arbeitgeber bei der Gestaltung des Ar- beitsumfelds. Ohne die Bereitschaft der Arbeitgeber, Menschen mit Beein- trächtigung einzustellen, wird die Inte- gration aber nicht funktionieren. Ein begleitendes Coaching ist auch für diese nötig. Wichtig sind die Durch­ lässigkeit und damit eine Elastizität zwischen den heute noch zu wenig mit­ einander verbundenen Arbeitsmärkten. Was die Verbände fordern: Aktionsplan: Damit der UN-BRK-Transitionsprozess den nötigen Schub erhält, muss auch die Schweiz, das heisst Bund und Kantone, einen ver- bindlichen Aktionsplan zur Umset- zung der UN-BRK erarbeiten. Ausbildung: Noch immer besteht ein defizitorientierter Leistungsansatz. Da- bei gehen Potenziale verloren. Der Nachteilsausgleich greift gerade bei Menschen mit kognitiver oder psychi- scher Beeinträchtigung zu wenig. Es braucht die gesetzliche Anerkennung einer kompetenzorientierten (Berufs-) Bildungsmöglichkeit für alle, damit Personen mit Unterstützungsbedarf in den Arbeitsmarkt integriert werden und dort ihre Fähigkeiten einbringen können. Inklusiver Arbeitsmarkt: Integra­ tionsbetriebe leisten einen wichtigen Beitrag als Brückenbauer in den allge- meinen Arbeitsmarkt. Dieses Engage- ment kann nur gelingen, wenn für Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarkts Anreize und Vorgaben bestehen, Men- schen mit Behinderung einzustellen, und sie gewillt sind, eine enge Der mit der UN-BRK angestossene Transi­ tionsprozess von der Angebots- zur Bedarfs- orientierung steht für einen grundlegenden Haltungswechsel.

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