Partizipative Führung hat Zukunft | Magazin ARTISET | 6 2022

ARTISET 06 I 2022  53 Verbesserungspotenzial. Die Zusammenarbeit mit dem Sozialwesen scheint zwar sehr gut, aber eher spärlich zu sein», sagt Lucas. Des Weiteren macht die Studie deutlich, dass die Betreuung nach der Diagnose hauptsächlich auf den therapeutischen Aspekt ausgerichtet ist. Die Professorin be­ dauert: «Oft fehlen die sozialen, kulturellen und menschli­ chen Dimensionen einer Demenzerfahrung. Die Behand­ lung allein bewirkt kein lebenswertes Leben, wie uns auch die Covid-Krise gezeigt hat. Während der Pandemie hat die politische Fokussierung auf die Gesundheit die übrigen Di­ mensionen des Lebens vernachlässigt. Ihre Bedeutung wur­ de dadurch umso stärker sichtbar.» Die unterschiedlichen kantonalen Diagnoseansätze haben im föderalistischen System der Schweiz zwar durchaus den Vorteil, dass verschiedene Modelle diskutiert und umgesetzt werden können. «Doch der Wissensaustausch über die Um­ setzung in der Praxis fehlt», stellt Barbara Lucas fest. Wie mit der Diagnose und den sozialen Folgen für die betroffenen Personen und ihre Angehörigen umgegangen wird, hängt von der Strategie der einzelnen Kantone ab. «Aus diesem Grund befürworten wir einen besseren Austausch bezüglich der Praktiken sowie einen Dialog zwischen den Kantonen zu Themen, bei denen trotz allgemeinem Konsens Uneinigkeit herrscht. Dies sollte ein Ziel des Bundesamtes für Gesundheit und seiner Nationalen Demenzplattform sein.» Das Engagement für eine möglichst frühe Diagnose er­ fährt breite Unterstützung von den Einrichtungen, aber die Fachkräfte sind nach wie vor mit zahlreichen ethischen Dilemmata konfrontiert. Wie kann die Autonomie von Menschen mit Demenz in jeder Phase des Diagnoseprozes­ ses am besten gewahrt und gefördert werden? Dieser kann nämlich die Autonomie und sogar die Selbstachtung immer wieder untergraben, insbesondere bei fortgeschrittenem kognitivem Verfall. «Diese Frage ist für viele Gesundheits­ fachpersonen zentral und stellt sich immer wieder», erklärt Lucas. Ein konkretes Beispiel stellt die Organisation der Pflegenetzwerke nach der gestellten Diagnose dar. «In die­ ser letzten Phase zeigten sich zwei gemeinsame Probleme: Wie können die sozialen Bedürfnisse der Betroffenen be­ rücksichtigt werden, wenn ein entsprechendes Angebot an Pflege und sozialer Unterstützung fehlt? Und wie – und wann – sollte man sich mit der Patientenverfügung befas­ sen? Dieses Gespräch bedeutet eine direkte Konfrontation mit dem Tod, obwohl die Person erst am Anfang ihres Be­ handlungspfades steht.» Eine erste Anwendung ist mit der Veröffentlichung von wissenschaftlichen Artikeln im Gang. «Parallel dazu tragen unsere Ergebnisse zumWissensaustausch zwischen den Kan­ tonen über die Praktiken und Debatten zur Demenzdiag­ nose bei», fügt die Co-Autorin der Studie hinzu. Die Studienresultate zeigen die grössten ethischen Dilem­ mata in der medizinischen Diagnosepraxis auf und helfen, Prioritäten zur Verbesserung der Demenzpolitik zu setzen und Instrumente zur Entscheidungsfindung für die profes­ sionellen Teams zu entwickeln. Ausserdem wurden die Re­ sultate dieser Studie an der Nationalen Demenzkonferenz vorgestellt, die der Diagnose gewidmet war: «Wir hoffen, dass unsere Studie dazu beitragen kann, Prioritäten für Ent­ scheidungsträger zu setzen.»  NATIONALES FORSCHUNGSPROGRAMM «Die Verbesserung der Demenzdiagnose erfordert eine engere Zusammenarbeit von Akteuren im Gesundheits- und Sozial­ bereich.» So lautet der Titel des mittlerweile abgeschlossenen Projekts 17 des grossen Nationalen Forschungsprogramms 74 zur «Gesundheitsversorgung». «Oft fehlen die sozialen, kulturellen und mensch- lichen Dimensionen einer Demenzerfahrung.» Barbara Lucas, Hochschule für Soziale Arbeit

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