ARTISET 06 I 2023 11 und Gewissen eine Verbesserung der Praxis angestrebt wird – ob dies dann in eine Innovation mündet, spielt eine zweitrangige Rolle. Wie sieht eine grundlegende und dauerhafte Verbesserung aus? Im besten Fall kann eine soziale Innovation auch die Entstehungsbedingungen für ein Problem verändern. Ich denke da beispielsweise an gemeinschaftliche Wohnformen im Alter wie die Genossenschaft Zusammen_h_alt in Winterthur: Entstanden ist eine genossenschaftliche Wohnform, die Tätigsein und Wohnen im Übergang vom agilen zum fragilen Alter verbindet. Bündeln der – nachlassenden – Kräfte, gemeinschaftliche Unternehmungen und Aktivitäten, Solidarität, gegenseitiges Profitieren vom reichen Erfahrungs- und Wissensschatz sind dabei Orientierungspunkte. Bei solchen Beispielen geht es nicht darum, nur zu reagieren, sondern zu transformieren. Aber das ist ein hoher Anspruch. Innovation in der Sozialen Arbeit muss sich immer an den Grundwerten der Profession orientieren und einen Mehrwert insbesondere für Klientinnen und Klienten erbringen. Lassen sich Ihre Erkenntnisse auch auf unsere drei Fachbereiche Kinder & Jugendliche, Erwachsene mit Behinderung und Alter anwenden? In allen Bereichen gab es in den letzten Jahren in der Tat Innovationen. Im Bereich Kinder und Jugendliche nimmt beispielsweise der Ansatz der Partizipation einen immer grösseren Stellenwert ein: Kinder, Jugendliche und ihre Familien werden viel stärker in die Soziale Arbeit mit einbezogen und die Konzepte – zum Beispiel für Kindeswohlabklärungen oder im stationären Bereich – entsprechend angepasst. Wie sieht das im Bereich Erwachsene mit Behinderung aus? Hier ist die UN-BRK eine sehr wichtige Treiberin für soziale Innovation: Der Inklusionsgedanke zwingt dazu, alle Dienste und Angebote durch eine völlig neue Brille anzusehen, und gibt den Menschen mit Behinderungen zunehmend mehr Mitsprachemöglichkeiten. Im Zuge dieser Bewegung entstehen neue Konzepte, beispielsweise das Modell Assistenzwohnen, aber auch Finanzierungsmodelle wie die Subjektfinanzierung. Bleibt noch der Bereich Alter… Auch dort hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Eine steigende Lebenserwartung führt dazu, dass «altern» verstärkt nicht mit «pflegebedürftig» gleichzusetzen ist. In diesem Bereich geht es heute oft um die Bildung von stützenden Netzwerken, um die Koordination und Zugänglichkeit von Diensten, um eine Gemeinwesenorientierung, um Caring Communities. Man könnte auch sagen, dass traditionelle Formen gemeinschaftlichen Lebens unter veränderten Vorzeichen wieder innovationsträchtig werden. Daneben ergeben sich durch die demografische Entwicklung auch neue Fragen, beispielsweise zuThemen wie Anne Parpan-Blaser forscht seit 15 Jahren zu Innovationen in der Sozialen Arbeit. «Im besten Fall kann eine soziale Innovation auch die Entstehungsbedingungen für ein Problem verändern», sagt sie. Foto: Privat «Eine gute Idee ist noch keine Innovation. Das wird sie erst, wenn sie umgesetzt wird und die Praxis grundlegend und umfassend und dauerhaft verändert.» Anne Parpan-Blaser
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