Innovationen entwickeln und umsetzen

28 ARTISET 06 I 2023 soziale Institutionen und Unternehmen mit Aktivitäten im Bildungswesen, der beruflichen Eingliederung und der Begleitung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen zum Sozialprojekt Tourbillon. Sie teilen sich 33000 Quadratmeter in zwei von fünf Gebäuden und beschäftigen zusammen um die 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Industrie- und Kulturgebäude des EspaceTourbillon befinden sich in der Gewerbezone der Gemeinde Plan-les-Ouates im Süden des Kantons Genf nahe der französischen Grenze. Die Unternehmen bilden nicht nur eine «Wohngemeinschaft». Sie wagen sich auch an eine neue Dynamik, die Synergien, sich ergänzende Kompetenzen und einzigartige Formen der Zusammenarbeit fördert. Alle wollen die soziale Innovation begünstigen und ihre jeweiligen Aufgaben aufwerten. Zusammen haben sie in der Tourbillon-Charta ihre Vision und die gemeinsamen Werte erarbeitet. Ziel ist, «für die Generation von heute und morgen ein Vorzeigemodell eines solidarischen, verantwortungsbewussten und innovativen Unternehmens zu schaffen». Wissensaustausch ermöglicht Entwicklung Die Wäscherei ist ein gutes Beispiel für die Vereinigung von Kompetenzen und Kulturen. Der Austausch beschränkt sich nicht nur auf die Entwicklung gemeinsamer Dienstleistungen in der Administration und Informatik. Drei Stiftungen stehen hinter dem Projekt. Sie waren bereits in der Wäschereibranche tätig, hätten aber modernisiert werden müssen. Durch das Zusammenlegen der Ressourcen kann nun jede Einheit ihr Wissen und ihre Erfahrung im Bereich der sozialen Eingliederung nutzbringend in die neue Einrichtung einbringen. Zudem profitiert man vom Fachwissen der Fondation Clair Bois in der Begleitung und Ausbildung von Menschen mit komplexen Behinderungen, von den Kenntnissen der Fondation Trajets in den Bereichen ökologisch verantwortungsvolle Wäscherei- und Reinigungsprozesse sowie psychische Gesundheit und schliesslich von der langjährigen Erfahrung der Fondation Pro in der industriellen Produktion und Logistik. Daraus ergaben sich weitere Synergien, die zu einem «positiven Kreislauf» führten, wie Jean-Philippe Beaufrère betont. Mit «Genève Roule», einer Genfer Organisation zur Förderung des Velos und der sozioprofessionellen Eingliederung, konnte eine Partnerschaft eingegangen werden. Sie stellt gewisse Wäschelieferungen mit dem E-Bike zu. Das Centre social protestant seinerseits lässt einen Teil der Textilien für den Verkauf im Brockenhaus in der Wäscherei waschen. Die Wäscherei Tourbillon verbindet drei Aufgaben: eine soziale durch die Ausbildung und Begleitung von Menschen mit Behinderung oder in Schwierigkeiten, eine umweltbezogene mit der Rückkehr zu umweltfreundlichen Technologien und eine wirtschaftliche durch qualitativ hochstehende und wettbewerbsfähige Dienstleistungen im Wäschereisektor. Wie Jean-Philippe Beaufrère erläutert, sind diese Aufgaben eng miteinander verbunden und voneinander abhängig. «Damit wir unseren sozialen und umwelttechnischen Verpflichtungen nachkommen können, muss unsere Struktur wettbewerbsfähig und wirtschaftlich erfolgreich sein.» Das Gleichgewicht zu finden, sei eine subtile Aufgabe, wie der Geschäftsführer aufzeigt: «Zurzeit behandeln wir 1,2 Tonnen Wäsche pro Tag. Mit unserer Infrastruktur könnten wir das Volumen auf 4 Tonnen pro Tag erhöhen und rund hundert Personen beschäftigen. Man muss jedoch aufpassen, wie diese Entwicklung verläuft, denn wir wollen nicht noch mehr Routinearbeiten automatisieren und in der Folge angepasste Arbeitsplätze streichen.» Im April dieses Jahres hat Jean-Philippe Beaufrère die Geschäftsleitung der Wäscherei übernommen. Er verfügt weder über eine Ausbildung im Sozialbereich, noch ist er eine Fachperson aus der Wäschereibranche. Er hat einen Hochschulabschluss in Management und verfügt insbesondere über Erfahrung in der Abfallverwertung und im Recycling. Deshalb kennt er die Funktionsweise der industriellen Produktion. Engagiert wurde er als «Leiter eines Profitcenters», kann aber sowohl auf das Wissen eines Wäscherei-­ Fachmanns als auch auf die Fachkompetenz einer sozioprofessionellen Begleiterin zählen. Er ist eher an einen direktiven Führungsstil mit wirtschaftlichem Denken gewöhnt. Im heutigen Kontext lernt er mit anderen Erfordernissen zu jonglieren, das heisst, sich der ganzen Belegschaft anzupassen, ihre Bedürfnisse vorauszusehen, anders zu kommunizieren. «Die Wortwahl ist wichtig, damit man sicher verstanden wird und niemanden verletzt.» Die Wäscherei lebt heute von den Betriebseinnahmen, von Privatspenden und von Subventionen aus den Leistungsverträgen mit dem Kanton gemäss dem sozialen Auftrag der Einrichtung. Bis 2026 soll sie finanziell unabhängig werden. «Damit das gelingt, reichen die sozialen und ökologischen Aspekte, die für die Kundschaft bisher attraktiv waren, nicht mehr aus. Um zu überzeugen und wettbewerbsfähig zu sein, müssen wir qualitativ hochstehende Leistungen und einen einwandfreien Service anbieten», sagt der Geschäftsführer. «Damit wir unseren sozialen und umwelttechnischen Verpflichtungen nachkommen können, müssen wir wettbewerbsfähig und wirtschaftlich erfolgreich sein.» Jean-Philippe Beaufrère, Geschäftsführer der Wäscherei Tourbillon

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